Friedensgespräche zwischen der kolumbianischen Regierung und der Guerilla ELN beginnen

Zwischen Krieg und Frieden

Nach der Farc beginnt auch die kleinere kolumbianische Guerilla ELN Friedensgespräche mit der Regierung.

In Holzkanus, zu Fuß und in chivas, jenen bunt bemalten alten LKW, die im ländlichen Kolumbien das wichtigste öffentliche Transportmittel sind, kamen sie aus dem Dschungel. Mit weißen Fahnen und ihren Gewehren über den Schultern traten die rund 6 000 Kämpfer der Farc während der vergangenen Tage ihre Reise in die von den Vereinten Nationen kontrollierten Übergangszonen an, in denen sie in den kommenden Monaten ihre Waffen abgeben und sich auf das Leben als Zivilisten vorbereiten sollen. Während damit die Umsetzung der Friedensvereinbarungen von Havanna endgültig beginnt, begannen in Ecuadors Hauptstadt Quito am Dienstag die Friedensgespräche mit der kleineren »Nationalen Befreiungsarmee« (ELN), die verschiedenen Angaben zufolge zwischen 1 500 und 3 000 Kämpfer unter Waffen hat. Diese verteilen sich auf fünf sogenannte Kriegsfronten, die im erdölreichen Grenzgebiet zu Venezuela, an der Pazifikküste und in der nördlichen Andenregion operieren.
Bereits im März vergangenen Jahres hatten Delegationen des ELN und der Regierung nach langen Sondierungsgesprächen in Venezuelas Hauptstadt Caracas die Aufnahme von Friedensverhandlungen vereinbart, doch hatte sich diese mehrfach verzögert, weil Präsident Juan Manuel Santos die Beendigung der Entführungen nachträglich zur Bedingung gemacht hatte. Ende Oktober war der Beginn der Verhandlungen in letzter Minute abgesagt worden.
In den vergangenen Wochen hatten sich beide Seiten auf einen »humanitären Austausch« geeinigt. Zwei gesundheitlich angeschlagene ELN-Kämpfer wurden begnadigt und die letzte und prominenteste ELN-Geisel, der wegen Zusammenarbeit mit paramilitärischen Gruppen verurteilte Regionalpolitiker Odín Sánchez, wurde in den Tiefen des Pazifikdepartments Chocó an eine Kommission des Internationalen Roten Kreuzes übergeben. In den vergangenen Monaten hatte es weiterhin Kampfhandlungen und Angriffe auf die Infrastruktur gegeben.
Der schwierige Beginn der Verhandlungen ist, von den politischen Manövern der Regierung Santos abgesehen, auf die organisatorische Struktur und ideologische Ausrichtung des ELN zurückzuführen. Diesbezüglich unterscheidet sich der ELN stark von den Farc. Diese haben sich im Laufe der Verhandlungen von Havanna und in der bisherigen Umsetzungsphase als weitgehend geeinte Organisation erwiesen. Im Gegensatz zu den vertikal organisierten, stark auf die militärische Funktionalität ausgerichteten Farc genössen die einzelnen Kampfverbände des ELN eine größere taktische und operative Autonomie, sagt Carlos Velandia, demobilisiertes ELN-Mitglied und nun von Präsident Santos ernannter »Friedensmanager«, im Gespräch mit der Jungle World. »Es gibt einige politisch radikalere Einheiten innerhalb des ELN, besonders in den peripheren Regionen Arauca und Chocó, die mit den Friedensgesprächen nicht einverstanden sind, die aber erklärt haben, sich den von der Delegation in Quito ausgehandelten Vereinbarungen zu unterwerfen«, so Velandia. Ein Hinweis auf mögliche Abspaltungen in der Zukunft.

Der ELN sieht sich als Organisation, die eine eigenständige politische und soziale Organisierung der lokalen Bevölkerung außerhalb der Strukturen des kapitalistischen Staats fördert.

Unklar bleibt bislang auch, ob die Entführungen weitergehen. Hatten die Farc sich vor Gesprächsbeginn davon losgesagt, deutete ein ELN-Kommandeur im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AFP an, die Guerilla werde diese Praxis weiterverfolgen, da sie Teil des Kriegs sei und die Regierung bislang einen beidseitigen Waffenstillstand ablehne.
Auch die thematisch deutlich unkonkreteren Vereinbarungen über den Inhalt der Verhandlungen könnten sich für die Regierung Santos als gewaltiger Stolperstein erweisen. Während es bei den Farc insbesondere um konkrete agrarpolitische Maßnahmen zur Besserstellung des Kleinbauerntums ging und die Zivilgesellschaft eher punktuell beteiligt war, will der ELN, der die Ergebnisse der Farc-Verhandlungen als oberflächlich bezeichnet, am großen Rad drehen. Ihm geht es um »Transformationen für den Frieden«, unter denen er die Überwindung von Armut, gesellschaftlicher Exklusion, Korruption und Umweltzerstörung versteht und für die er das neoliberale, auf Ausbeutung von Rohstoffen wie Gold, Kohle und Erdöl basierende Wirtschaftsmodell verantwortlich macht. Wie diese Friedenstransformationen aussehen sollen, darüber solle nicht von Deligierten in Quito diskutiert werden, sondern von der gesamten kolumbianischen Gesellschaft.
Die einst von den Altkommunisten als kleinbürgerliche Voluntaristen geschmähten, ursprünglich guevaristischen und bis heute befreiungstheologisch beeinflussten »Elenos« sehen sich nicht als avantgardistische Vertreter des pueblo, der marginalisierten Mehrheitsbevölkerung. In den achtziger Jahren kam in den ihnen nahestehenden intellektuellen Kreisen und Bevölkerungsgruppen das an Gramsci orientierte Konzept des mit »Volksmacht« nur unzureichend übersetzten poder popular auf. Dementsprechend sehen sie sich vielmehr als Organisation, die eine eigenständige politische und soziale Organisierung der lokalen Bevölkerung außerhalb der Strukturen des kapitalistischen Staats fördert. So sind auch unabhängig vom ELN in den vergangenen Jahrzehnten landesweit eine Vielzahl von Bewegungen von Indigenen, Studenten, Arbeitern und anderen im ländlichen und urbanen Raum entstanden, die sich teils unter dem Dach des landesweiten Zusammenschlusses »Congreso de los pueblos« (CdP) versammeln.
Der Congreso ist es nun, der mit einem »Gesellschaftlichen Tisch für den Frieden« alle gesellschaftlichen Gruppen – einschließlich der großen Unternehmen, der Wirtschaftsverbände und der politischen Rechten – zu eben jener gesamtgesellschaftlichen Debatte einlädt. »Ziel dieses Tisches ist es, dass er nicht nur beratend oder als Input für die Gespräche in Quito wirkt, sondern dass die an ihm getroffenen Vereinbarungen – wenn es denn welche geben sollte – von breiter gesellschaftlicher Legitimität als eine Art Mandat an die Verhandlungspartein verstanden werden«, sagt Juan Houghton vom CdP der Jungle World. Dieses »Outsourcing« der Debatten aus den Verhandlungen in die Gesellschaft ermögliche es, grundlegende Themen wie das Wirtschaftsmodell oder die Rolle des Militärs zu diskutieren, die mit einer militärisch schwachen Guerilla zu diskutieren die Regierung nicht bereit wäre.
Gehör verschaffen wollen sich die praxiserprobten Basisbewegungen mit verschiedenen Mobilisierungen. Es stehen Kolumbien also womöglich bewegte Monate bevor, und bis die ELN-Kämpfer mit weißen Fahnen aus dem Dschungel kommen, könnte es noch einige Zeit dauern.