Ernüchternde Ergebnisse
Erneut sorgen Beate Zschäpes Anwälte für Schlagzeilen. Wolfgang Stahl, Wolfgang Heer und Anja Sturm, die Pflichtverteidiger der Hauptangeklagten im Münchner NSU-Prozess, wollen hinschmeißen – mal wieder. Sie fordern ihre Abberufung. Grund dafür sei das zerrüttete Verhältnis zu Zschäpe. Die drei Anwälte hatten kürzlich mehrere Befangenheitsanträge gestellt, von denen sich die mutmaßliche NSU-Terroristin wenig später distanzierte. Stahl, Heer und Sturm, mit denen die Angeklagte nicht mehr redet, wissen nicht, ob Zschäpe die treibende Kraft hinter der Distanzierung ist oder ihre beiden anderen Verteidiger, Mathias Grasel und Hermann Borchert. In einem Brief, der der Deutschen Presseagentur vorliegt, machen die drei ersten Anwälte ihrem Ärger Luft. Sie würden mit »unwahren Informationen« und »wahrheitswidrigen Äußerungen« Zschäpes versorgt. Das Verhältnis zu ihrer Mandantin sei schlecht und eine weitere Tätigkeit »auch in persönlicher Hinsicht nicht mehr zumutbar«.
Beim polizeilichen Umgang mit den Opfern des NSU und ihren Angehörigen lassen sich immer wieder rassistische Denkmuster erkennen.
Das Gericht wird den Antrag wohl ablehnen. Auch das kommentieren die drei Juristen in ihrem Brief vorsorglich – sie bezeichnen sich selbst als »Sicherungsmarionetten«, die dem Gericht nur noch dazu dienten, den Prozess zu Ende zu bringen. Derweil versuchen die beiden Anwälte, die Zschäpes Vertrauen genießen, ihre Mandantin für schuldunfähig erklären zu lassen. Der Freiburger Psychiater Joachim Bauer durfte mehrmals mit der Angeklagten sprechen. In seinem Gutachten befand er, Zschäpe sei abhängig von ihren NSU-Kameraden Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gewesen. Sie habe sich beiden gegenüber unterwürfig gezeigt. Bauer attestierte Zschäpe eine »schwere dependente Persönlichkeitsstörung«, die eine verminderte Schuldfähigkeit begründe. Ob Bauer als Gutachter in dem Prozess zugelassen wird, ist noch unklar. Erst im Januar hatte ein anderer Gutachter Zschäpe für voll schuldfähig erklärt.
All diese Manöver dürften vorrangig einem Zweck dienen. Die Verteidiger wollen möglichst viele Gründe für eine Revision schaffen. In den kommenden Wochen darf mit weiteren derartigen Manövern gerechnet werden. Dem Vorsitzenden Richter Manfred Götzl passt das überhaupt nicht. Eigentlich hatte er die Beweisaufnahme Anfang März beenden wollen, erntete dafür aber zahlreiche Befangenheitsanträge. Wann der NSU-Prozess wirklich endet, ist offen. Nach dem Abschluss der Beweisaufnahme folgen noch die Plädoyers aller Prozessbeteiligten. Auch das kann dauern.
Beendet ist hingegen der NSU-Untersuchungsausschuss im nordrhein-westfälischen Landtag, seine Schlussfolgerungen liegen vor. In fast 60 Sitzungen haben die Mitglieder des Ausschusses Sachverständige, Opfer, Ermittler und Zeugen, darunter auch Neonazis, angehört. Ihr Untersuchungsauftrag erstreckte sich nicht nur auf die Taten des NSU, sondern auf die gesamte Entwicklung der extremen Rechten in Nordrhein-Westfalen seit den frühen neunziger Jahren. Dass der Ausschuss eingesetzt wurde, ist in erster Linie der Landtagsabgeordneten Birgit Rydlewski (Piratenpartei) zu verdanken. Sie leistete Überzeugungsarbeit bei den anderen Fraktionen. Nachdem sich die CDU für einen Ausschuss aussprach, konnten FDP, Grüne und SPD nicht mehr nein sagen.
In ihrer Beurteilung des Ausschusses kommt die Piratenpartei zu einem ernüchternden Ergebnis. Es habe an Zeit gefehlt, den NSU-Komplex wirklich umfassend zu untersuchen. Mit diesem Zeitmangel hätten auch die Behörden gespielt, insbesondere der Verfassungsschutz als Abteilung des Landesinnenministeriums. Oft seien Akten erst nach langer Wartezeit geliefert worden, zeitweise habe der Ausschuss um die Lieferung von Akten kämpfen müssen. Auch mit den Aussagen der Behördenvertreter geht die Piratenpartei hart ins Gericht. Viele Beamte hatten nur sehr beschränkte Aussagegenehmigungen, die außerdem nur für nichtöffentliche Sitzungen galten. So seien wichtige Informationen nur einem kleinen Personenkreis bekannt geworden und eine weitere öffentliche Aufarbeitung rechtsextremer Aktivitäten verunmöglicht worden. Nach Ansicht der Partei konnte der Untersuchungsausschuss daher »nicht in dem Maße zur Aufklärung beitragen, wie er es den Opfern und ihren Angehörigen, aber auch der gesamten Öffentlichkeit schuldig gewesen wäre«.
Im Umgang der Polizei mit den Opfern des NSU und ihren Angehörigen lassen sich anhand des etwa 1 000 Seiten dicken Abschlussberichts des Untersuchungsausschusses immer wieder rassistische Denkweisen erkennen – beispielsweise, wenn die Kölner Polizei um eine Verlängerung des Einsatzes eines verdeckten Ermittlers in der Kölner Keupstraße bittet, wo der NSU 2004 eine Nagelbombe gezündet hatte. In der Begründung heißt es, »aufgrund des besonderen Milieus der Keupstraße – es handelt sich fast ausschließlich um Türken – gestaltet sich die Kontaktanbahnung naturgemäß schwierig«. Auch Elif Kubaşık, die Witwe von Mehmet Kubaşık, der am 4. April 2006 in seinem Kiosk in Dortmund erschossen wurde, berichtete dem Ausschuss vom Umgang der Polizei mit ihr. In der Nachbarschaft seien Fotos ihres Mannes gezeigt und Menschen gefragt worden, ob sie bei ihm Drogen gekauft hätten. Für die Familie Kubaşık führte das zu einer jahrelangen Stigmatisierung. Die Angehörigen galten als schlechte Menschen, mit denen man besser keinen Umgang pflege.
Aber nicht nur weil das Opfer und seine Familie verdächtigt wurden, ermittelte die Polizei nicht oder nur mangelhaft im Nazimilieu. An zahlreichen Stellen finden sich Belege für eine schwerwiegende Unkenntnis der extremen Rechten. Etwa, wenn Staatsschützer offen sagten, dass ihnen der Begriff »Turner Diaries« nichts sage – ein US-amerikanischer Roman, der die Ermordung aller Nichtweißen propagiert. Oder wenn Beamte den Eindruck erweckten, dass sie gegen Neonazis mit terroristischen Plänen erst ermitteln, wenn diese sich als Verein mit dem Ziel, Anschläge zu begehen, in das Vereinsregister eintragen lassen.
In Bezug auf das Kerntrio des NSU bietet der Bericht nicht viel Erhellendes. Zwar pflegen viele Neonazis aus Nordrhein-Westfalen gute Kontakte nach Thüringen, und umgekehrt soll der in München mitangeklagte Ralf Wohlleben über gute Beziehungen nach Dortmund und Köln verfügen. Ob Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt aber mit den lokalen Neonaziszenen vernetzt waren, bleibt unklar. In diesem Zusammenhang wurden Spuren verfolgt, die offensichtlicher Unfug sind, wie etwa Berichte einer Frau aus Dortmund, die nach der Enttarnung des NSU behauptete, Zschäpe habe den Garten ihrer Nachbarn umgegraben, oder die Aussagen über eine Beziehung Zschäpes zu einem Solinger Neonazi. Andere Hinweise sind plausibler, etwa Berichte über Besuche des NSU-Trios bei Neonaziveranstaltungen im Rheinland oder bei einem Konzert der Rechtsrockband Oidoxie in Kassel. Auch hier gaben sich die Ermittler oft mit kleinen Informationshäppchen und den Aussagen von Neonazis zufrieden.
In den Handlungsempfehlungen, die der Untersuchungsausschuss dem Landtag unterbreitet, finden sich zahlreiche die Polizei betreffende Anregungen. So wird die Einrichtung eines unabhängigen Polizeibeauftragten vorgeschlagen, außerdem soll eine unabhängige Kommission rassistische Handlungen bei der Polizei untersuchen und es soll mehr Rassismusprävention in der Polizeiausbildung geben. Dass diese Forderungen erfüllt werden, ist allerdings unwahrscheinlich.