Einige US-Rechte wähnen hinter Drohanrufen bei jüdischen Einrichtungen eine Verschwörung bei der Regierung Donald Trumps

Kein Einzeltäter

Drohanrufe bei jüdischen Gemeinde­zentren in den USA wurden mutmaßlich von einem Juden mit israelischer und US-amerikanischer Staatsangehörigkeit getätigt. Nun fühlen sich US-Rechte in ihrer Verschwörungsideologie bestätigt.

Bisher ist wenig bekannt über Michael Kaydar, der Ende März im Zusammenhang mit einer Welle von Bombendrohungen gegen jüdische Räumlichkeiten festgenommen wurde. Ihm wird vorgeworfen, seit Jahresbeginn über 160 Drohanrufe getätigt zu haben, die sich hauptsächlich gegen jüdische Gemeindezentren (Jewish Community Center, JCC) in den gesamten USA richteten (Jungle World 11/2017). Die Indizien gegen ihn wiegen schwer, die Ermittler fanden alles nötige Equipment für die Verschleierung von Anrufen im Zimmer des 19jährigen im israelischen Ashkelon, südlich von Jerusalem. Eine Information über den Verdächtigen erregt ganz besonders die Gemüter: Neben der US-amerikanischen besitzt Kaydar auch die israelische Staatsangehörigkeit und ist jüdisch.

Brian Greene, der Direktor des Westside JCC in Los Angeles, sagte im Gespräch mit der Jungle World, dass es trotz der beängstigenden Situation wichtiger denn je sei, offene Räume zu schaffen und inklusive Arbeit zu leisten.

Es dauerte nicht lange, bis unter dem Hashtag »Hoaxgate« US-Rechte ihrer Häme Ausdruck verliehen. Insbesondere Andrew Anglin kann seine Freude darüber kaum verbergen und schreibt, dass etwas Besseres gar nicht hätte passieren können. Der Gründer der Nazi-Website »Daily Stormer« und seine Anhänger verstiegen sich in die Verschwörungstheorie, dass die Drohanrufe Teil einer false flag operation seien. Wie ein Kriegsschiff, das unter falscher Flagge operiert, soll die Bedrohung von jüdischer Seite selbst inszeniert worden sein, um die Regierung Donald Trumps zu diskreditieren.

Die Theorie, Kaydar habe nicht aus Eigeninitiative gehandelt, stützt sich hauptsächlich auf zwei Argumente. Zum einen sei der Verdächtige aufgrund seines Alters und einer Krankheit, die nach Angaben seines Verteidigers das Urteilsvermögen einschränkt, nicht in der Lage, das komplexe Verfahren zur Organisation der Drohanrufe selbst zu entwickeln. Zum anderen wird wild darüber spekuliert, ob sein Vater, der auch vorübergehend festgenommen wurde, Kontakte zu jüdischen Organisationen in den USA pflegt. Ungeachtet dessen, dass die Verwendung von Google Voice und Bitcoins kein besonderes Expertenwissen voraussetzt und über Kaydars Vater rein gar nichts bekannt ist, gewinnt die Theorie einer »False flag«-Verschwörung an Dynamik.

Der Mob wurde schon mehrere Wochen vor dem Bekanntwerden des mutmaßlichen Täters von prominenter Seite aufgewiegelt. Neben David Duke, dem ehemaligen Leiter des Ku Klux Klan, spekulierte auch Donald Trump öffentlich darüber, ob die Bombendrohungen arrangiert worden seien, um ihn in ein schlechtes Licht zu rücken. Ob der Präsident diese Annahme auf den Verschwörungstheorien der Alt-Right-Foren oder auf frühen Ermittlungsergebnissen aufbaute, ist unklar. Seit die Identität des Verdächtigen bekannt ist, schlägt er jedenfalls aus den Anschuldigungen gegen die eigentlichen Opfer politischen Profit. So ließ Trump seinen Pressesprecher Sean Spicer verkünden, dass er es gewesen sei, der von vornherein klar gesehen hätte, während die Presse und jüdische Organisationen in Alarmismus verfallen seien.

In einer ersten Reaktion stellt eine der am heftigsten attackierten Organisationen, die Anti-Defamation League (ADL), jedoch klar, dass die Herkunft des Täters keine Rolle spiele, wenn jüdische Einrichtungen bedroht werden. Dass die antisemitische Bedrohung in den USA real ist, zeigen auch weitere Vorfälle, wie etwa Schändungen jüdischer Friedhöfe in St. Louis und Philadelphia sowie die anhaltende Diffamierung vermeintlich oder tatsächlich jüdischer Reporter. Außerdem haben die Bombendrohungen eine Reihe von Trittbrettfahrern motiviert, unter ihnen der Journalist Juan Thompson, der sich mit mindestens acht Anrufen in JCCs offenbar an seiner ehemaligen Freundin rächen wollte, in deren Namen er drohte. Auch musste das JCC in Dallas wegen eines Drohanrufs evakuiert werden – einige Stunden nachdem Kaydar festgenommen worden war.
Brian Greene, der Direktor des Westside JCC in Los Angeles, das in diesem Jahr bereits zweimal wegen Bombenwarnungen evakuiert wurde, sagte im Gespräch mit der Jungle World, dass es trotz der beängstigenden Situation wichtiger denn je sei, offene Räume zu schaffen und inklusive Arbeit zu leisten. »Wir haben viel in dieser Zeit gelernt. Die wichtigste Lektion war zu sehen, wer unsere Freunde sind und wer zu uns steht«, so Greene. Im Westside seien massenhaft Solidaritätsbekundungen unterschiedlichster Gruppen und Personen eingegangen, auch die Verwaltung und Politik hätten schnell Maßnahmen zur Stärkung der bedrohten JCCs getroffen.

Tatsächlich kann man Trump trotz seiner verschwörungstheoretischen Äußerungen nicht vorwerfen, gänzlich untätig geblieben zu sein. Immerhin veranlasste er recht zügig die Entsendung eines Dutzends FBI-Agenten der Cybercrime-Einheit nach Israel, um gemeinsam mit den dortigen Behörden die Herkunft der Drohanrufe zu klären. Außerdem hat er sich zumindest ein Lippenbekenntnis zur entschlossenen Bekämpfung von Antisemitismus und Hassverbrechen abgerungen. Das ambivalente Verhalten der Regierung veranlasste auch Abraham Foxman, einen früheren Leiter der ADL, sich in der Debatte erneut zu Wort zu melden. Die Geschichte zeige, dass Antisemitismus universal und in allen Teilen der Gesellschaft beheimatet sei. Gerade wegen der Alltäglichkeit judenfeindlicher Vorfälle ist für ihn die Fokussierung der Debatte auf eine Handvoll Demagogen ein analytischer Fehler. Ohne diejenigen, die an sie glauben, verlieren auch die bösartigsten Verschwörungstheorien ihre Wirkung.