Die schwule US-Serie »Cucumber«

Vergiss die Gurke nicht

Die Fernsehserie »Cucumber« macht dort weiter, wo die schwulen und lesbischen Paare aus »Queer as Folk« aufgehört haben.

Tofu, Banane und Gurke bezeichnen einer Sexualstudie zufolge die Stufen einer Erektion von weich bis hart. »Tofu«, »Banana« und »Cucumber« sind auch die Titel von drei miteinander verwobenen Miniserien aus Großbritannien, die zwei Jahre nach ihrer Erstausstrahlung nun auch im deutschen Fernsehen gezeigt wurden. Die ARD hat ihren digitalen Theaterkanal abgewickelt und sich ein eigenes »ZDF Neo« geschaffen, das auf den Namen »One« hört und mit internationalen Serien ein junges Publikum anziehen will. »Cucumber« ist die Hauptserie, deren Folgen jeweils 45 Minuten dauern. »Banana« erzählt in halb so langen Folgen episodenhaft die Geschichten von Nebenfiguren aus »Cucumber«, »Tofu« ist eine Web-Serie, die unter anderem aus Interviews mit den Darstellern und Darstellerinnen besteht.

Schwule Dating-Apps wie Grindr, die es vor zehn Jahren noch nicht gab, gehören jetzt zum Alltag. Schnell macht sich da die Nostalgie breit. Im Hintergrund läuft Kylie Minogue und die Outfits sehen aus, als seien sie aus der Zeit gefallen. 

Henry (Vincent Franklin) ist Mitte 40 und wohnt mit seinem Freund Lance (Cyril Nri) in Manchester. Die beiden sind seit neun Jahren ein Paar, haben allerdings nie Analsex miteinander gehabt. Sein ganzes ­Leben hat Henry weder penetriert, noch ist er penetriert worden – obwohl er anscheinend an nichts anderes denkt, hat er panische Angst davor. Lance, der seine Felle davonschwimmen sieht, schlägt einen Dreier vor, um sein Verlangen zu stillen. Davon überfordert trennt Henry sich von ihm und zieht in die Wohnung seines schwulen Arbeitskollegen Dean (Fisayo Akinade) und dessen bisexuellen Mitbewohner Freddie (Freddie Fox) ein, zu dem er sich stark hingezogen fühlt. Ohne Freund, ohne Job (auch den verliert er in der ersten Folge) und ohne eigene Wohnung ist Henry mit einer neuen Generation von schwulen Männern konfrontiert, die mit ihrer Sexualität viel selbstverständlicher umgehen als er. 

Klischeehaft gesprochen sind die Themen von »Cucumber« das Altern, Henrys Midlife-Crisis, Generationskonflikte oder, noch abgedroschener, die Suche nach dem Sinn im Leben. Das Interesse der Serie gilt der Alteritätserfahrung von Schwulen, die sich nicht einfach auf eine zeitlich abgesteckte »Krise« im Leben zusammenstauchen lässt. Homo­sexuelle werden ständig mit ihrer Sexualiät konfrontiert und genötigt, diese zu erklären. Dies geht Hetero­sexuellen nicht so. Im toleranten Manchester der Serie ist die Homosexualität der Figuren kein großes Problem mehr, weder in der Familie noch am Arbeitsplatz oder auf der Straße. Homophobie gibt es nur in der Erinnerung, in den Rückblicken und ganz explizit als exzessiven Selbsthass einer Figur. Die »äußere« Alteritätserfahrung ist einer »inneren« gewichen. Psychologisch gesehen mag Henrys Angst vor analem Sex viel bedeuten; dramaturgisch hat seine »Jungfräulichkeit« die Funktion, die Auseinandersetzung der Figuren über ihre sexuelle Biographie, ihre Wünsche und ihr Begehren ­voranzutreiben. 

Russell T Davies, der Schöpfer der drei Serien und Autor aller Folgen von »Cucumber«, ist auch verantwortlich für die britische Fernsehserie »Queer as Folk«, die erst durch ihre amerikanische Adaption weltberühmt wurde und neue Maßstäbe setzte in der Repräsentation von Schwulen im Fernsehen. »Cucumber« geht gewissermaßen weiter als »Queer as Folk«. Nicht nur ist die Darstellung von Sex inklusive Geschlechtsteilen seit den frühen nuller Jahren einfacher geworden. Auch die Themen sind jetzt andere. Das Coming-out und Aids sind in den Hintergrund gerückt. In der Gegenwart hat jeder sein Mobiltelefon, das ständig vibriert und die Handlung immer wieder unterbricht. Schwule Dating-Apps wie Grindr, die es vor zehn Jahren noch nicht gab, gehören inzwischen zum Alltag. Schnell macht sich da die Nostalgie breit. Im Hintergrund läuft Kylie Minogue und die Outfits sehen aus, als seien sie aus der Zeit gefallen. Die Vergangenheit ist stets präsent. In den ersten zehn Minuten gibt Henry zu: »Ich vermisse die Neunziger!«

Die Serie ist in Deutschland wenig beachtet worden, außer in queeren Magazinen gab es keine Besprechungen. Gründe dafür mögen sein, dass die ARD die Serie nicht groß beworben hat und sie außerdem nicht gerade zur besten Sendezeit ausstrahlte. Vielleicht aber ist auch das Angebot an Fernsehformaten, die Homosexualität zum Inhalt haben, einfach zu groß und unübersichtlich ge­worden. Ein Tabubruch ist es sicher nicht mehr, wenn zwei Männer sich im Fernsehen küssen. Auch deshalb entstand wohl das ganze Paket an ­Serien, plus Webserie, um ein größeres Publikum zu erreichen. 

In der Serie »Banana« stehen die Geschichten von Lesben und Transsexuellen im Vordergrund. Elegant schaffen es die Folgen, alltägliche Geschichten, dramatische Wendungen und schwarzen, britischen Humor miteinander zu verquirlen. Jede Folge von »Cucumber« beginnt mit ­einer Sequenz im Supermarkt. Der Discounter ist die große Metapher der Serie. Hier ist prinzipiell alles zu haben, man kann nur nicht alles mitnehmen. Aber in jedem Regal oder Gang kann etwas lauern, das einen erfreut, beschäftigt, erzürnt oder erregt. Mit leeren Händen geht man nie nach Hause.