Die Linke und das Recht

Marathonlaufen und Versammeln

Im Paragraphendschungel – eine Kolumne über das Recht im linken Alltag, Teil 3
Kolumne Von

Anfang des Monats sorgte der ehemalige Journalist Martin Lejeune in den sozialen Medien für Unterhaltung. Er hatte sich als Teilnehmer des Berlin-Marathons ausgegeben und bei der Laufveranstaltung Ärger heraufbeschworen, mit handfesten Konsequenzen. Zu sehen ist das Geschehen in einem von ihm und dem Querfrontler Thomas Löbnitz aufgenommenen Handyvideo. Lejeune besuchte die Marathonstrecke, weil er sich daran gestört hatte, dass einige Läuferinnen und Läufer in Shirts mit dem Aufdruck »#freedeniz« antreten wollten. Seine Versuche, diese während des Laufs zur Rede zu stellen, brachten ihm schließlich eine blutige Nase ein. Anschließend beklagte er sich, er sei auf einer »Versammlung« angegriffen worden, was den peniblen Juristen aufschreien lässt. Denn so ein Marathonlauf ist keine Versammlung.

Was eine Versammlung im Sinne des Versammlungsrechts und des Artikels 8 des Grundgesetzes ausmacht, ist gleichwohl umstritten. So gibt es einen engen, einen erweiterten und einen weiten Versammlungsbegriff. Das Bundesverfassungsgericht verwendet den engen Versammlungsbegriff. Mit seinem Beschluss vom 12. Juni 2001 begann das Ende einer Berliner Institution, der Loveparade. Das Gericht stellte fest, dass eine Versammlung eben nicht nur eine Zusammenkunft von Menschen sei. Versammlungen seien »Zusammenkünfte mehrerer Personen zwecks gemeinschaftlicher Erörterung und Kundgebung mit dem Ziel der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung«. Der Hintergrund des Rechtsstreits war freilich recht banal: Die Berliner Verwaltung wollte nicht mehr für die Reinigungskosten der Loveparade aufkommen, wozu sie aber bei Versammlungen verpflichtet ist. Wie eine Musik- und Tanzveranstaltung ist also ein Marathonlauf keine Versammlung. Wer ihn veranstalten möchte, muss eine straßenrechtliche Sondernutzungserlaubnis beantragen. Es geht nicht mehr um Verfassungsrecht, sondern um schnödes Verwaltungsrecht.

Eine Versammlung muss man nicht beantragen und es bedarf auch keiner Erlaubnis. Diese Information hat sich allerdings nicht sehr weit verbreitet und so hört man immer wieder wütende Stimmen, die beklagen, diese oder jene Demonstration sei »genehmigt« worden. Eine Versammlung bedarf nur einer rechtzeitigen Anmeldung. Was rechtzeitig ist, bestimmt in den meisten Bundesländern das Bundesversammlungsgesetz, die Frist beträgt 48 Stunden. Allerdings muss bei spontanen Anlässen auch eine spontane Anmeldung möglich sein, es handelt sich schließlich um ein demokratisch wertvolles Grundrecht.

Das hindert Verwaltungen und ganz besonders die Polizei jedoch nicht daran, insbesondere linke Versammlungen zu regulieren. Die Anforderungen für ein Verbot sind hoch, aber die Polizei kann sogenannte Auflagen erteilen, also zum Beispiel die maximale Länge der Front- und Seitentransparente festsetzen oder die Route der Demonstration ändern. Für die diesjährige 18-Uhr-Demonstration am 1. Mai in Kreuzberg soll auf die Anmeldung ganz verzichtet werden, was die Polizei wohl nicht gerne sieht. Aber nicht nur bei linken Versammlungen greift die Verwaltung regulierend in den Ablauf ein. So hatte die Kölner Polizei im vergangenen Jahr die Übertragung einer Rede des türkischen Staatspräsidenten auf einer Kundgebung untersagt. Auch dieser Fall beschäftigte das Bundesverfassungsgericht, das das Verbot unangetastet ließ – ebenfalls zum Ärger des Erdoğan-Fans Martin Lejeune.