Bei den französischen Parlamentswahlen hat Emmanuel Macrons Lager die Mehrheit gewonnen

Die Mission beginnt

Nach der zweiten Runde der französischen Parlamentswahlen verfügt das Lager des Präsidenten Emmanuel Macron über eine deutliche Mehrheit in der Nationalversammlung. Mit Widerstand gegen seine Reformen ist jedoch zu rechnen.

Gleich mehrere Rekorde wurden im Zuge der französischen Parlamentswahlen aufgestellt, die am vorigen Sonntag mit der zweiten Runde endeten. Es gab die höchste Stimment­haltung, die seit 1848 registriert wurde. Bereits in der ersten Runde der Wahlen am 11. Juni war etwas mehr als die Hälfte der Stimmberechtigten, die sich bis zum 31. Dezember vergangenen Jahres in die Wählerlisten eingetragen hatten, den Wahllokalen ferngeblieben. Im zweiten Durchgang gingen 57,4 Prozent nicht wählen und 9,9 Prozent beziehungsweise zwei Millionen Menschen stimmten ungültig.

Die Wahlbewegung von Präsident Emmanuel Macron, La République en marche (LRM), und die mit ihr verbündete kleine zentristisch-liberale Partei Mouvement démocrate (MoDem), die als Sieger aus den Wahlen hervorgingen, wurden von nur 8,9 Millionen Menschen gewählt. Sie erhalten 350 von insgesamt 577 Sitzen in der Nationalversammlung und damit eine deutliche Mehrheit.

Macron war vor den Wahlen mit der Aussage zitiert worden, die neuen Mandatsträger drohten, einen »Sauhaufen« (foutoir) zu bilden, falls man ihnen nicht straffe Zügel anlege. Die meisten Abgeordneten von LRM haben wenig politische Erfahrung, viele geben kein gutes Bild ab. In Toulouse hatte eine Kandidatin von LRM ihre Einkünfte als hauptberufliche Astrologin verschwiegen, nun wird wegen Schwarzarbeit gegen sie ermittelt. In Neuilly-sur-Seine bei Paris und in Villeurbanne bei Lyon laufen Strafermittlungen ­wegen internationaler Steuerhinterziehung gegen LRM-Kandidaten. In Saint-Denis bei Paris wird einer Kandidatin vorgeworfen, eine unhygienische Wohnung überteuert vermietet zu haben. In Lille hatte eine Bewerberin erfundene Diplome angegeben. Eine LRM-Kandidatin in Lyon wurde in Fernsehdebatten zum Gespött, weil sie munter Konjunktiv und Indikativ verwechselte und ihr andere sinnentstellende Grammatikfehler unterliefen.

Das ist jedoch nicht allzu störend für Macron, will er doch ohnehin das Parlament verkleinern und dessen Vollmachten weiter schmälern. Macron hat bei der Wahl des Staatsoberhaupts vor anderthalb Monaten die neofaschistische Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen geschlagen. Dennoch ist er nicht die Retterfigur und Lichtgestalt, als die er, unter anderem wegen seiner EU-freundlichen Positionen, von einigen deutschen Medien dargestellt wird.

Die Boulevardzeitung Le Parisien publizierte am Samstag eine Reportage aus Orléans, wo Macron am 8. Mai 2016, damals noch als Wirtschaftsminister, seine erste allgemeinpolitische Rede gehalten hatte. In deren Mittelpunkt stand Jeanne d’Arc, die »Jungfrau von Orléans«, eine historische Figur aus dem 15. Jahrhundert, um die sich viele Legenden ranken. Den Artikel betitelte Le Parisien mit dem Zitat: »Wie Jeanne d’Arc fühlt Emmanuel Macron sich von einer Mission erfüllt.« Es handelt sich um die Aussage eines Einwohners von Orléans, der für Macron gestimmt hat.
Tatsächlich scheint der Präsident als charismatischer Führer eine Mission erfüllen zu wollen: Frankreich endlich zu reformieren und die Profite des ­Kapitals zu steigern. Bislang kommt er mit seiner Rhetorik der Erneuerung ­relativ gut an, vor dem Hintergrund einer tiefen Legitimationskrise des politischen Systems und der etablierten Parteien. »Macron profitiert von einer Epidemie des Glaubens«, konstatiert der prominente Psychiater Boris Cyrulnik in derselben Ausgabe von Le Pari­sien. Dass der Effekt anhalten wird, wenn es etwa zu den umstrittenen Reformen des Arbeitsrechts kommt, die für die kommenden drei Monate angekündigt sind, bezweifelt nicht nur Cyrulnik. Immerhin muss Macron nicht mehr damit rechnen, wie Jeanne d’Arc verbrannt zu werden, wenn der Glaube an seine Mission abflaut.