Die G20-Proteste in Hamburg

Einmal Revolution und zurück

Zahlreiche Gruppen und Bündnisse haben zu Demonstrationen gegen den G20-Gipfel in Hamburg aufgerufen. Ein Protestmarathon.

Es ist heiß in Hamburg, die Stadt voller Polizei, am Himmel kreisen permanent Hubschrauber. Mit dem Auto kommt man an diesem Donnerstag nicht weiter. Beim Pressecenter müssten wir die Akkreditierungen abholen, aber alle Zugänge sind von der Polizei gesperrt. Die Sperren darf man nur mit einer Akkreditierung passieren – es ist nur eine der vielen Absurditäten, die einem beim G20-Gipfel vergangene Woche in Hamburg begegnen. Der Rest des Weges wird also mit Fahrrädern zurückgelegt, die vorsorglich im Kofferraum des Autos verstaut waren. Schließlich klappt es doch mit der Akkreditierung. Die freundliche Mitarbeiterin des Pressecenters erzählt, die Welt fühle sich wohl in Deutschland.

Einige der Protestierenden stehen mit Sturmhauben in der Sonne.Vor dem ersten Block stehen Pressevertreterinnen und -vertreter, ausgerüstet mit Helmen, Schutzbrillen und Gasmasken.

Gerade landet US-Präsident Donald Trump, das Leben in der Stadt scheint stillzustehen, die Innenstadt ist gespenstisch leer. Immerhin hat man mit dem Fahrrad freie Fahrt. Am Fischmarkt beginnt die Demonstration des linksradikalen Bündnisses »Welcome to Hell«, rund 12 000 Menschen nehmen teil, die Stimmung ist noch friedlich. Einige der Protestierenden stehen mit Sturmhauben in der Sonne. Vor dem ersten Block stehen Pressevertreterinnen und -vertreter, ausgerüstet mit Helmen, Schutzbrillen und Gasmasken. Die Polizei will die Demonstration wegen Verstoßes gegen das Vermummungsverbot nicht ziehen lassen, auch wenn von den Demonstrierenden bis dahin keine Gefahr ausgeht. Plötzlich geht alles sehr schnell, die Polizei greift den Schwarzen Block an, die Situation eskaliert. Sie setzt Wasserwerfer, Pfefferspray und Schlagstöcke ein. Es ist schwierig, sich in diesem Durcheinander einen Überblick zu verschaffen, es gibt kaum Fluchtwege. Ziegelsteine so groß wie Schuhkartons zerschellen auf dem Asphalt. Dutzende Protestierende und Polizisten werden verletzt, viele sind vom Ausmaß der Gewalt schockiert.

Es folgt eine Spontandemonstration gegen Polizeigewalt, die Demonstrierenden sind entsprechend eingeschüchtert. Einzelne werfen Flaschen und Böller, die allerdings hin und wieder die eigenen vorderen Reihen treffen. Die Demonstration kommt bis zur Sternschanze, hier wird die Stimmung pöbelig, viele wirken betrunken. Die U-Bahnstation Schlump ist geschlossen, das Bushäuschen davor komplett entglast. Wo waren noch einmal die Fahrräder abgestellt?

Sperren und blockieren
Am Freitagmorgen geht es zeitig los. Bereits um sieben Uhr trifft sich ein Blockadefinger an den Landungsbrücken. Die Interventionistische Linke (IL) und das Bündnis »Ums Ganze« wollen die Hochsicherheitszone um die Messehallen blockieren, die Gipfelteilnehmerinnen und -teilnehmer sollen nicht zum Tagungsort gelangen. Bis in die »rote Zone« schaffen es die Demonstrierenden jedoch nicht. Nach einigen Scharmützeln mit der Polizei endet die Aktion im Kessel. Als der wieder aufgelöst ist, beschließt ein Delegiertenplenum, dass man sich am Jungfernstieg wiedertrifft, um dort die Zufahrtswege zum Messecenter zu blockieren. Dort finden sich genug Menschen ein, um eine bereits von der Polizei gesperrte Straße noch einmal zu blockieren. Ein Polizist gibt per Funk durch, dass die Polizei nun vorsichtig und nach Vorschrift arbeiten werde und viele Kameras anwesend seien. Die Blockade wird entsprechend sanft geräumt. Die nächste Blockade scheint einen neuralgischen Punkt getroffen zu haben, die Polizei reagiert innerhalb kürzester Zeit und ziemlich brutal. Später vermuten wir, dass Donald Trump in seiner Panzerlimousine »The Beast« ursprünglich diesen Weg nehmen wollte und schließlich durch die halbe Stadt rasen musste, um pünktlich die Auftaktrede von Angela Merkel zu hören.

Per Rad geht es weiter um die »gelbe Zone«. Einige US-amerikanische Christen warnen uns eindringlich vor der Hölle, versprechen aber, für uns zu beten. Ein Mann schlägt auf seinem Balkon unablässig einen riesigen Gong, vermutlich eine subtile Zermürbungstaktik gegen die in der Nähe positionierte Polizei. Ein buddhistischer Mönch trommelt für den Frieden.

Im International Media Centre werden die Medienschaffenden, die gerade Angela Merkels live übertragener Auftaktrede lauschen und sie fleißig in Agenturmeldungen verarbeiten, kostenlos mit Essen und Getränken versorgt, wir nehmen Pasta mit Salsiccia-Fenchel-Sauce und Bier. Die Polizei sei mit dem Ausmaß des Protests überfordert und fordere Verstärkung an, heißt es hier. In Hamburg-Osdorf sollen Panzerfahrzeuge der Bundeswehr gesehen worden sein. Der zuständige Oberstleutnant meint später dazu, die Panzer seien nur aus Platzgründen von einer Kaserne in die nächste verlegt worden. Dass dies ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt geschieht, wirkt wie ein makaberer Scherz der Bundeswehr.

Am Nachmittag wird es drückend schwül, der Straßenkampf geht weiter. Vom Millerntor bewegt sich eine Spontandemonstration voran, die von Anfang an nicht sonderlich entschlossen wirkt. Per Lautsprecher werden vehement bürgerliche Rechte wie Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit eingefordert; der Staat, von dem die Rechte eingefordert werden, soll hingegen abgeschafft und zerstört werden.

An den Landungsbrücken herrscht Festivalstimmung, aus Palmen und Gittern werden hübsche Barrikaden gebaut. Kurz darauf werden sie von der Polizei geräumt. Es fliegen Flaschen, Böller und Steine, die Polizei setzt mehrere Wasserwerfer ein, das macht das schwüle Wetter noch unerträglicher. Später gibt es noch die Demonstration »G20 entern – Kapitalismus versenken«, bereits im Aufruf machen die Veranstalter klar, dass es plump um »Wir gegen die« geht.

Gerüchte über Molotowcocktails, durch Stahlkugeln verletzte Polizisten und einen angegriffenen Kindergarten machen die Runde. Im Schanzenviertel gibt es Riots. Es scheint absurd, das eigene Viertel in Schutt und Asche zu legen, Kleinwagen in einer potentiell solidarischen Nachbarschaft anzuzünden und Geschäfte zu plündern, als stünde die Revolution kurz bevor. Später rückt das SEK aus, mit Maschinengewehren im Anschlag.

G203

Die Polizei mag es nicht spontan. Wasserwerfereinsatz am Freitag

Bild:
Christoph Löffler

Palästina darf nicht fehlen
Am Samstagmorgen beginnt am Hauptbahnhof die Großdemonstration »Grenzenlose Solidarität statt G20«. Der Wetterbericht hat Regen angekündigt, es ist angenehm kühl im Vergleich zu den vergangenen beiden Tagen, bleibt aber trocken. Während die ersten Blöcke noch progressiv und kräftig wirken, wird es umso kruder, je weiter die Demonstration vorbeizieht. Vom »Würgegriff des Kapitals« wird da phantasiert, auch die obligatorische Riesenkrake im Stil antisemitischer Karikaturen darf nicht fehlen. Die Linksjugend Solid Hamburg muss sich von einigen Demonstrierenden jedoch auch Kritik an ihrer Krake gefallen lassen.

Der internationalistische Block, dem sich unter anderem die antiisraelischen Gruppen BDS (Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen) und F.O.R. Palestine (For One State and Return) angeschlossen haben, läuft weit hinten im Zug. Er wirkt klein und abgehängt, einige Demonstrierende rufen unverhohlen zur Auslöschung Israels auf: »From the river to the sea – Palestine will be free«. Was das mit der G20 zu tun hat, kann man sich fragen, fehlt doch der wichtigste Feind der Antiimperialisten: Dem Internetportal »Klasse gegen Klasse« zufolge tagen hier nämlich die »wichtigsten Massen­mörder*innen (bis auf Benjamin Netanyahu)«.

Die Zahl der Palästina-Flaggen hält sich in Grenzen, es sind nur eine Handvoll bei über 70 000 Demonstrierenden. Vor dem Internationalistischen Block laufen einige Steinzeitkommunisten vom »Revolutionären Aufbau« und fordern komplett vermummt den »Volkskrieg«. Vermutlich wegen der Vermummung werden sie von der Polizei recht schnell aus der Demonstration entfernt. Ganz zum Schluss läuft, tanzt und glitzert eine Gruppe Techno-Hedonisten ohne weitere Aussage.

Wie auch die Proteste der Tage zuvor zeigten, findet sich eine große Zahl von Menschen, die mit der derzeitigen Krisenpolitik nicht einverstanden sind. Obwohl auch wichtige und sinnvolle Kritik, etwa am Umgang der G20 mit Flucht und Migration, formuliert wird, hat sich der Großteil der Protestierenden auf Donald Trump eingeschossen. Der Gipfel und seine Themen treten hinter der allgegenwärtigen Kritik am US-Präsidenten zurück, Forderungen wie »Ami go home« oder »Nazi Trump fuck off« erscheinen als logische Konsequenz dieser Verkürzung.

Gegen Ende wird von einem Lautsprecherwagen auf die Demonstration am Tag darauf zur Gefangenensammelstelle hingewiesen, die sich zum Ziel gesetzt habe, »alle Gefangenen aus der GeSa« zu holen. Das könnte angesichts der vielen Festnahmen nach den Ausschreitungen am Tag zuvor etwas dauern. Den Abschluss bildet ein typisch linkes Straßenfest mit Bier und schlechter Musik. Auf der Schanze gibt es wieder Straßenschlachten.
Ein Erfolg der mehrtägigen Proteste und Ausschreitungen mag sein, dass der nächste Gipfel voraussichtlich nicht mehr in einer Großstadt wie Hamburg stattfinden kann. Aber was ist gewonnen, wenn sich die G20-Mitglieder demnächst auf abgelegenen Bergen treffen?

Die Protesttage enden mit einer klaren Vollmondnacht, der Hubschrauberlärm übertönt unser Schnarchen.