Pakistans Premierminister musste wegen Korruptionsvorwürfen gehen. Sein Bruder soll nach Wahlen das Amt übernehmen

Korrupte Familien

Pakistans Premierminister Nawaz Sharif musste nach Korruptions­vorwürfen zurücktreten. Doch nicht nur gegen Regierungsmitglieder und deren Angehörige wird ermittelt, auch die Opposition sieht sich Anklagen ausgesetzt.

Nawaz Sharif habe sich für sein Amt disqualifiziert: Am 28. Juli fällte das Oberste Gericht in Pakistan einstimmig sein Urteil über den Premierminister und empfahl, Strafverfahren wegen Korruption gegen Sharif, seine Tochter Maryam Nawaz Sharif, seine Söhne Hassan und Hussain Nawaz Sharif und Finanzminister Ishaq Dar zu eröffnen. Die Ermittlungen folgten Hinweisen aus den im vergangenen Jahr geleakten sogenannten Panama Papers (Jungle World 15/2016), die jene drei Kinder Sharifs mit Offshore-Unternehmen in Verbindung brachten. Ob Sharif in Zukunft wieder ein offizielles Amt bekleiden darf, wurde noch nicht entschieden. Kurz nach dem Urteil trat er als Premierminister zurück, bleibt aber Parteivorsitzender der nach ihm benannten konservativen »Pakistanischen Muslimliga (Nawaz)« (PML-N). Das ­Gericht forderte Dar ebenfalls auf, sein Amt aufzugeben.

Bereits am 27. Juli hatte Innenminister Chaudhry Nisar Ali Khan seinen Rücktritt angekündigt. Er galt als letzte unbelastete Person im Kabinett und als Anwärter für den Posten des Premierministers im Fall eines Rücktritts Sharifs. Da auch ein Verfahren gegen dessen Tochter Maryam eingeleitet wird, die eigentlich das politische Erbe antreten sollte, hat Nawaz Sharif seinen Bruder Shahbaz Sharif dazu auserkoren, die Familiendynastie fortzuführen. Diesem wird vorgeworfen, als ­Ministerpräsident der Region Punjab für den Tod von 14 Demonstrierenden im Jahr 2014 in Lahore verantwortlich zu sein. Da Shahbaz Sharif das Amt erst nach Wahlen antreten kann, wurde vergangene Woche der ehemalige Öl- und Gasminister Shahid Khaqan Abbasi vom Parlament zum Interimspremierminister gewählt. Im Zusammenhang mit seiner Amtsführung gibt es derzeit eine Anhörung wegen Korruptionsverdacht bei einer Gaslieferung im Wert von 200 Millionen US-Dollar. Zwar hat die zuständige Behörde den Fall im Dezember geschlossen, aber festgestellt, dass es bei der Gaslieferung nicht mit rechten Dingen zuging. Die oppositionelle Partei Pakistanische ­Bewegung für Gerechtigkeit (PTI) unter Imran Khan hat daher angekündigt, den Fall wieder vor Gericht zu bringen. »Ach, da laufen noch zehn andere Anzeigen gegen mich«, kommentierte Abbasi den Vorwurf gelassen.

Die Opposition feiert die Gerichtsentscheidung und Sharifs Rücktritt als Sieg über die Korruption, dabei sind die Beweise für Offshore-Konten gegen Pakistans andere Familienpartei, die ­Pakistanische Volkspartei (PPP) des Bhutto-Clans, noch schlagender als im Fall der Sharifs. Gegen den politischen Hoffnungsträger Imran Khan liegen Anklagen wegen seines Protestmarsches gegen die Regierung nach Islamabad im Jahr 2014 vor (Jungle World 34/2014). Ebenfalls wegen des Marsches sowie des Vorfalls 2014 in Lahore wird gegen den Vorsitzenden der oppositionellen Partei Volksbewegung Pakistans, Muhammad Tahir-ul-Qadri (PAT), ermittelt.
Es gibt also Korruptionsvorwürfe ­sowohl gegen hochrangige Mitglieder der Regierung als auch der Opposition. Manche Beobachter in Pakistan vermuten, es wäre für die junge Demokratie besser gewesen, wenn Nawaz Sharif seine Amtsperiode beendet hätte und im nächsten Jahr von der Bevölkerung abgewählt worden wäre. Nun muss jeder künftige Premierminister damit rechnen, jederzeit aus dem Amt geklagt zu werden – Anklagen werden in Pakistan schnell zusammengebastelt.
Gewinner ist derzeit die pakistanische Armee, die bereits die Außenpolitik kontrolliert und der es eine angeschlagene zivile Konkurrenz einfach macht, weiterhin die Geschicke des Staates zu bestimmen. Wie geht es nun weiter in Pakistan? Der Sturz eines Korrupten befreit ein Land nicht frei von der Korruption. Steuervermeidung und Bestechung sind fest in der pakistanischen Gesellschaft etabliert. Wer hier ein Geschäft abschließt, wird in der Regel mit einem warmherzigen Lächeln die Frage hören, ob es denn unbedingt eine Rechnung brauche. Dass Nawaz Sharif und seine Familie korrupt sind, wusste man in Pakistan bereits, aber vielen Pakistanis wird er auch bei den für 2018 geplanten allgemeinen Wahlen als »bester Geschäftsmann« gelten und sie werden den Strohmann wählen, den die Sharifs für ihre Partei antreten lassen, sollte es auch Shahbaz Sharif erwischen. Gegen ihn laufen allein bei der Antikorruptionsbehörde 16 Verfahren.

Der einzige chancenreiche Kandidat für das Amt des Premierministers, der nicht als korrupt gilt, ist Imran Khan. Doch sind manche seiner Vorhaben eher gut gemeint als durchdacht. Ein Beispiel ist ein Projekt in seiner Heimatprovinz Khyber Pakhtunkhwa, das die Pflanzung von Millionen Bäumen vorsieht. In Pakistan sind nicht einmal zwei Prozent der Gesamtfläche bewaldet, daher wäre Aufforstung dringend nötig. Während Khans junge Facebook-Gemeinde das Projekt feiert, warnen Ökologen davor, in der Provinzhauptstadt Peshawar weiter Knopfmangroven zu pflanzen, da sie für die dort herrschenden Bedingungen völlig ungeeignet seien. Doch Khan lässt sich dadurch nicht beirren. Jenseits des Kampfes gegen die Korruption ist sein populistisches Programm vage und widersprüchlich, zu den Islamisten pflegte er ein ambivalentes Verhältnis.

Alternativen zu den Sharifs und ­Imran Khan sind in Pakistan nicht in Sicht. Die Bhuttos werden ihre Provinz Sindh, in der halbfeudale Zustände herrschen, dank der von den Großgrundbesitzern kontrollierten Stimmen für ihre PPP vermutlich gewinnen, aber auf Landesebene sind sie seit ihrer jüngsten Regierungsperiode (2008–2013), als Asif Ali Zardari Präsident war, erledigt. Ihm wurde nachgesagt, von allen Beträgen zehn Prozent in die ­eigene Tasche zu stecken. Das meiste Geld brauchte er, um seine eigenen Parteimitglieder und die Opposition ruhigzustellen.

Pakistan leidet außer unter Korruptionsskandalen unter jihadistischen Anschlägen, Grenzstreitigkeiten mit Indien, die jederzeit eskalieren können, und einer schweren Wasserkrise. All diese Probleme können unter einer handlungsunfähigen Regierung noch schlechter als ohnehin bewältigt werden. Das könnte die Generäle dazu bringen, die Führung wieder selbst zu übernehmen, doch läuft es derzeit auch so gut für sie und es ist weniger riskant, indirekt zu herrschen. Hoffnung für die pakistanische Demokratie scheint es derzeit nur dann zu geben, wenn sowohl korrupte, aber erfahrene als auch ehrliche, aber etwas praxis­ferne Politiker merken, dass sie noch eine Weile im selben Boot sitzen, weil sie in derselben Zelle landen könnten.