Small Talk mit Markus Ulrich vom Lesben- und Schwulenverband über den Anstieg der homo- und transphoben Hasskriminalität

»Es geht um Programme gegen Gewalt«

130 Fälle von Hasskriminalität aufgrund sexueller Orientierung zählte das Innenministerium in den ersten sechs Monaten dieses Jahres. Das sind 27 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres, in dem bereits ein Anstieg der Zahl solcher Straftaten verzeichnet worden war. Die Jungle World sprach mit Markus Ulrich vom Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) über den Anstieg der homo- und transphoben Hasskriminalität und die Vorschläge des Verbandes zu ihrer Bekämpfung.
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Was ist mit Hasskriminalität genau gemeint? Gibt es einen besonders signifikanten Anstieg von körperlichen Übergriffen?
Hasskriminalität aufgrund der sexuellen Orientierung kann viele Straftaten umfassen, das fängt an bei Beleidigung und geht über Volksverhetzung und Bedrohung bis hin zu Gewalt, die, wenn Homophobie oder Transphobie das Motiv waren, als Hasskriminalität oder als vorurteilsmotivierte Kriminalität gelten. Es gab der Statistik zufolge einen rapiden Anstieg sowohl der Gesamtzahl der Taten als auch der Gewalttaten.

Wie erklären Sie sich diesen Anstieg? Finden Homo- und Transphobie derzeit weitere Verbreitung?
Im Endeffekt muss man da spekulieren, denn was uns die Zahlen zeigen, ist ein Anstieg der erfassten Fälle, nicht der realen Vorfälle. Man kann auch argumentieren, dass heute mehr Leute, denen etwas passiert, bereit sind, zur Polizei zu gehen.

Der Anteil der nicht zur Anzeige gebrachten Vorfälle wird auf 80 Prozent, teils sogar noch höher, geschätzt. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Das hat mehrere Gründe. Ein Grund ist, dass Betroffene Vorfälle aus unterschiedlichsten Gründen nicht anzeigen. Die sagen, ihnen ist es zu viel Aufwand; nur weil ihnen jemand »Schwuchtel« hinterhergerufen hat, rennen sie nicht zur Polizei. Dazu kommt, dass sie misstrauisch gegenüber der Polizei sind und sich fragen, ob sie sich dort nicht auch noch einen blöden Spruch einfangen und nicht ernst genommen werden. Manche denken, eine Anzeige bringe ohnehin nichts. Es kann auch vorkommen, dass zwar Anzeige erstattet wird, weil man zusammengeschlagen wurde, aber das mögliche Motiv verschwiegen wird. Das gleiche haben wir auch auf Seiten der Polizei, wenn die jeweilige Beamtin oder der Beamte das Motiv nicht wahrnimmt, nicht aufschreibt oder nicht weiterleitet. Hasskriminalität ist politisch motivierte Kriminalität, im Polizeialltag haben wir es aber damit zu tun, dass als politisch motivierte Kriminalität immer noch Links- und Rechtsextremismus sowie Islamismus gelten und es nicht Usus ist, Homo-und Transphobie auch dazu zu zählen.

Sie fordern die Bundesregierung zum Handeln auf. Was wären aus Ihrer Sicht geeignete Mittel zur Prävention solcher Straftaten?
Prävention ist ein Teil unserer Forderungen, aber uns geht es erstmal um eine konsequente Strafverfolgung, um ein Meldeverfahren und um eine Sensibilisierung innerhalb der Behörden, damit Zahlen auch wirklich auf einer validen Basis erstellt werden. Wie kann es sein, dass zum Beispiel das schwule Antigewaltprojekt Maneo für Berlin teils mehr Taten registriert als das Bundesinnenministerium für ganz Deutschland? Da ist es für uns erst mal wichtig, ein Bund-Länder-Programm zu haben, das sich an dieser Schnittstelle bewegt und dieses Dunkelfeld in den Statistiken immer mehr verringert. Bei Prävention geht es um Programme gegen Gewalt. Wir fordern, dass Gewalt gegen LSBTI immer explizit benannt wird. Präventionsarbeit hat natürlich auch etwas mit Bildung zu tun, mit Bildungsplänen in der Schule, was noch mal eine Prävention beziehungsweise eine gesellschaftliche Veränderung von Einstellungen mit sich bringen würde.