»Homestories – Ein Comic über die koreanische Diaspora in Wien«

Hans hat’s schwer

Im Comic »Homestories« erzählt die österreichische Autorin Vina Yun ihre Geschichte und die ihrer Mutter. Es geht um die koreanische Migration nach Wien in den Siebzigern und um das Aufwachsen von Migrantenkindern in Österreich.
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Im Jahr 1972 landeten die ersten koreanischen Krankenschwestern als »Gastarbeiter­innen« in Wien. Österreich war in den Sechzigern dem deutschen Vorbild gefolgt; die Bundesrepublik warb schon seit den Fünfzigern Arbeitskräfte aus verschiedenen Ländern an. Vor allem Krankenhäuser waren das Ziel der weiblichen Arbeitsmigration aus Südkorea. Von den »Gastarbeiterinnen« erhofften sich die Unternehmen eine deutlich anspruchslosere Haltung, als sie die einheimischen Arbeitskräfte seinerzeit an den Tag legten. Ein Anwerbeabkommen Westdeutschlands mit Südkorea gehörte außerdem zur Strategie einer wirtschaftlichen Stärkung des damals zerrütteten Landes, das als Frontstaat gegen den kommunistischen Norden stabil bleiben sollte.

Unter den jungen, gut ausgebildeten Krankenschwestern, die aus ­Südkorea nach Österreich kamen, befand sich auch Soo-Hyun Yun.  Mutter von Vina Yun. Yun, eine österreichische Journalistin und Redakteurin, behandelt in dem teils autobiographischen Comic »Home­stories« die Geschichte zweier migrantischer Generationen in Wien, die ihrer eigenen und die ihrer Eltern. Yun verbindet persönliche Erfahrungen und Familiengeschichte mit Erzählungen aus Interviews, die sie mit ehemaligen Krankenschwestern und ihren Nachkommen geführt hat. Aus diesem Material hat die Autorin zusammen mit vier Zeichner­innen einen Comic entwickwelt, der eine bisher kaum bekannte Migrationsgeschichte sehr persönlich und doch umfassend beleuchtet.

Der Widerspruch, dass die Mehrheitsgesellschaft zugleich Integration und Identifikation mit der jemandem als »eigentlich« zugeschriebenen Kultur fordert, durchzieht die Kindheitsszenen.

»Homestories« besteht aus zwei Teilen, so wie der Comic zwei Generationsgeschichten miteinander verknüpft. Der erste Teil erzählt von einer jungen Frau, die Seoul verlässt, um in Österreich zu arbeiten. Nicht nur materielle Not, sondern auch ­Neugierde und Hoffnung auf die Befreiung von familiären und ­gesellschaftlichen Zwängen in Korea ließen sie wie viele junge Menschen nach Europa aufbrechen. Angekommen in Österreich sahen diese sich jedoch mit schlechten Arbeitsbedingungen, Vorurteilen und Engstirnigkeit konfrontiert. So erzählt Soo-­Hyun: »Schon an meinem ersten Arbeitstag lernte ich: Österreicher fanden alles, was ihnen nicht bekannt war, sehr kompliziert.« Aus Soo-­Hyun wird deshalb kurzum »Schwester Susanne«. Szenen wie diese ­charakterisieren die schwierige erste Zeit der Koreanerin in Wien. Man ­erfährt auch, wie sie sich eingelebt, Kontakte geknüpft und ihren späteren Partner kennengelernt hat. Soo-Hyun Yun erinnert sich an all das auf dem Rückflug vom jährlichen Verwandtenbesuch. Am Flughafen in Wien wird die ältere Frau dann von ihrer Tochter Vina abgeholt, der Hauptfigur des zweiten Teils.

In fragmentarischen Episoden beleuchtet dieser Teil Themen wie ­Vinas Schulalltag, Konflikte mit den Eltern oder den Besuch bei der ko­reanischen Cousine. Auch hier spielen Namen als Identitätsstifter immer wieder eine Rolle – nicht nur, weil Vinas Mutter mittlerweile von allen österreichischen Bekannten sowieso nur »Susanne« genannt wird. Gleich zu Beginn des zweiten Teils erfährt die kleine Vina von ihrem Vater, dass ein Fisch, der hell wie eine Leuchtreklame strahlte, ihm ihren Namen im Traum ins Ohr geflüstert habe. Diese phantasievolle Geschichte und die Namenswahl zeigen den durchaus pragmatischen Wunsch, es den Kindern in einer Gesellschaft, deren Mitglieder sich mehrheitlich keine koreanischen Namen merken können, einfacher zu machen.

Der Widerspruch, dass die Mehrheitsgesellschaft zugleich Integration und Identifikation mit der jemandem als »eigentlich« zugeschriebenen Kultur fordert, durchzieht die Kindheitsszenen. Vinas jüngerer Bruder »hat den österreichischsten Namen, den man sich vorstellen kann«, nämlich Hans, was ihn aber keineswegs vor Spott bewahrt. Das sei doch gar kein asiatischer Name, provozieren ihn die Mädchen in der Schule. Die Überforderung, die aus den widersprüchlichen Anforderungen resultiert, tut sich in der empörten Reaktion des kleinen Jungen kund, der ­wütend zurückblafft, Hans sei sehr wohl ein asiatischer Name. Und als eine Schulfreundin Vina gegen rassistische Kommentare verteidigt, selbst aber sogleich einen Jungen in der Klasse auf rassistische Weise ­anfeinden will, scheint es für die Hauptfigur zunächst nur die schlechte Wahl ­zwischen Einstecken und Austeilen zu geben. Außerdem prägen die strikten Erwartungen der Eltern an ihre Tochter, Vinas Vorurteile über Korea, die Vorliebe für Popkultur und Schwärmereien für die Englisch­lehrerin die Jugend des Mädchens.

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Im Gegensatz zum ersten Teil von »Homestories«, der als lineare ­Geschichte konzipiert ist, montiert Yun im zweiten für sich stehende Episoden. Diese Collage hat nicht nur der Form nach etwas Mehrdeutiges und Lückenhaftes. Das Gefüge bleibt beweglich, seine Teile konstituieren sich wechselseitig und lassen sich nicht auf einen gemeinsamen Nenner reduzieren. Individuelle Erfahrungen entziehen sich einem stringenten Plot, sind oft widersprüchlich und nicht wirklich greifbar – wie die subjektive Identität, die in ihrer Ge­wordenheit nie restlos konsistent und repräsentierbar sein kann. »Homestories« erzählt so durch die einzelnen Geschichten von Mutter und Tochter auch etwas über die Widersprüche von Subjektivität an sich.

Die Differenz zwischen geordneter Lebensgeschichte auf der einen und fragiler individueller (Nicht-)Identität auf der anderen Seite wird zudem durch die unterschiedliche Konstellation von Text und Bild in den beiden Teilen des Comics vermittelt. Im ersten Teil liegt das Gewicht auf der Geschichte, die die einfach gehaltenen Zeichnungen von Tine Fetz illustrieren. Der Text steht zum Großteil in Kästen über und neben den Bildern. Patus mit Graustufen und weicherem Duktus spielende Bilder im zweiten Teil hingegen kreieren in Wechselwirkung mit den Sprechblasen eigene Assoziationen, beispielsweise wenn Vina ihre Haut wie ein Kleidungsstück ablegt, um sich als Außerirdische zu entpuppen. Bilder besitzen eine geringere Distanz zum Unbewussten als Begriffe und verweisen so auf die Fragilität des Individuums.

Bei aller Vielschichtigkeit liest sich »Homestories« sehr kurzweilig, ­wobei man sich aber an sehr eigenwillige inhaltliche Gewichtungen ­gewöhnen muss. Gemessen daran, wie viel Raum Essgewohnheiten im ersten Teil einnehmen, springt die Geschichte über interessantere ­Entwicklungen, wie die Entscheidung der Protagonistin, in Österreich zu bleiben und zu studieren, geradezu hinweg. Der von Moshtari Hilal ­gestaltete Epilog schließlich erscheint unvermittelt und wie angeklebt. Hilal stellt in allzu exemplarischen Situationen die Konfrontation der nun erwachsenen Vina mit alltäglichen Ressentiments ihrer Umwelt dar und stattet sie mit erzwungenen Pointen aus. Der Staubsaugerver­käufer, der Vinas Deutschkenntnisse lobt, wird kurzerhand von seinem Produkt eingesaugt. An vielen anderen Stellen aber nimmt »Home­stories« mit treffender Feinsinnigkeit die alltäglichen Vorurteile aufs Korn und erzählt die Geschichte einer bisher wenig beachteten Migrationsbewegung.

Vina Yun, Tine Fetz, Patu, Moshtari Hilal und Sunanda Mesquita: »Homestories – Ein Comic über die koreanische Diaspora in Wien«, Eigenverlag, Wien 2017.