Albanien bemüht sich um eine EU-Mitgliedschaft

Europa ziert sich

Noch in diesem Jahr möchte Albanien die Beitrittsverhandlungen mit der EU eröffnen. Dazu braucht die Regierung der Sozialistischen Partei unter Edi Rama nachweisbare Erfolge, denn die Ausgangsbedingungen sind alles andere als gut.

Es gibt sicher viele Staaten in Europa, die über ein besseres Image verfügen als die EU-Beitrittsanwärter auf dem Westbalkan. Verbrechen, Drogen und Korruption sind häufig genannte Probleme, wenn es um die Integration Albaniens und anderer Staaten der Region in die EU geht.

Um dieses Bild etwas zu korrigieren, hatte der albanische Ministerpräsident Edi Rama seine Kollegen aus Serbien, dem Kosovo, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Montenegro Ende August in die albanische Hafenstadt Durrës eingeladen, um dort über einen gemeinsamen Binnenmarkt zu sprechen. Der vereinfachte regionale Austausch von Waren, Dienstleistungen und Fachkräften soll die Region mit ihren etwa 20 Millionen Einwohnern attraktiver für Investitionen machen. Nebenbei sollte damit wohl auch das schlechte Image der Region etwas aufpoliert werden. Das Konzept war bereits Mitte Juli beim Gipfel der Westbalkan-Staaten in Triest beschlossen worden.

Nun schwingt sich der bei den Parlamentswahlen im Juni in seinem Amt bestätigte albanische Ministerpräsident zum großen Reformer auf. Schließlich versprach er im Wahlkampf, den Beitrittsprozess endlich voranzubringen. Rama gibt sich zuversichtlich, noch in diesem Jahr möchte er Beitrittsverhandlungen mit der EU eröffnen.
Die EU ziert sich aber bislang, mögliche Zieldaten für die Aufnahme zu nennen. Die lange versprochene Annäherung gestaltet sich zäh, die Zweifel wachsen, ob sie in absehbarer Zukunft überhaupt gelingen kann. Dass etwa Serbien wie anvisiert den EU-Beitritt 2020 schaffet, gilt als unwahrscheinlich. Mazedonien, Bosnien und Albanien führen noch gar keine konkreten Verhandlungen mit der EU.

Korruption, organisierte Kriminalität, mangelnde Rechtsstaatlichkeit und eine marode öffentliche Verwaltung gehören zu den größten Problemen, die den Integrationsprozess behindern. Die verhaltene Reaktion der europäischen Institutionen hat auch mit der vergangenen Erweiterungsrunde von 2004 zu tun. Rumänien und Bulgarien verfehlten wenige Jahre nach ihrer Aufnahme die Antikorruptionsstandards der EU. Dass sich ein solcher Vorgang wiederholt, will die EU-Kommission unbedingt verhindern.

Erschwerend kommt der ungelöste Konflikt zwischen Serbien und dem Kosovo hinzu, der den gesamten Beitrittsprozess bedroht. »Wenn die Europäische Union dem Kosovo die Türen verschließt, so werden alle Albaner in einem Staat vereint leben, um die Integration in die europäische Familie fortführen zu können«, hatte der Präsident des Kosovo, Hashim Thaçi, kürzlich in einem Interview gedroht, wenige Tage nachdem Rama von einer »verblassenden europäischen Perspektive« für den Westbalkan und einem möglichen Zusammenschluss des Kosovo und Albaniens gesprochen hatte.

Wenig hilfreich ist auch, dass die Europäische Union seit Jahren vor allem mit sich selbst beschäftigt ist und mit Schuldenkrisen, »Brexit« und der Uneinigkeit in der Flüchtlingspolitik zu kämpfen hat. Auf dem Westbalkan beginnen daher manche Politiker, sich nach anderen möglichen Partnern umzusehen. Der russische Präsident Wladimir Putin erfreut sich großer Beliebtheit, und auch die Türkei zeigt sich bemüht, ihren Einfluss auf die Muslime in der Region auszubauen. China hat sein wirtschaftliches Engagement bereits deutlich verstärkt. Im gesamten Westbalkan flackert wieder ein aggressiver Nationalismus auf, zumal dieser zurzeit auch in vielen EU-Ländern populär ist.

Doch nach wie vor kommt das meiste Geld für die Region aus der EU und zumindest rhetorisch zeigen sich deren Politiker bemüht, wenn es um die Beitrittsperspektiven geht. An einer Rückkehr bereits überwunden geglaubter nationalistischer Konflikte sind sie jedenfalls nicht interessiert. »Politische Stabilität in dieser Region ist auch Stabilität für uns«, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel anlässlich des Gipfeltreffens in Triest betont, womit sie wohl zumindest auch indirekt die Sorge vor neuen Migrationsbewegungen meinte. »Wenn die EU nicht zum Westbalkan kommt, dann kommen die jungen Leute in die EU«, sagte der deutsche Staatsminister Michael Roth auf dem Treffen.

Dabei sind die EU-Behörden in erheblichlichem Maß dafür verantwortlich, dass die Voraussetzungen für den Beitritt Albaniens alles andere als einfach sind. Seit den neunziger Jahren drängt die EU darauf, die Wirtschaft des Landes zu liberalisieren. Subventionen und protektionistische Regelungen wurden abgebaut, was vor allem für den Binnenmarkt negative Folgen hatte. Mittlerweile müssen selbst Agrarprodukte wie Milch und Tabak, die Albanien früher selbst hergestellt hat, importiert werden.

Die Überweisungen der Arbeitsmigranten steuern einen wesentlichen Teil zum Bruttosozialprodukt bei. Zugleich hat die umfassende Privatisierung strategischer Sektoren wie des Bankensystems die Handlungsmöglichkeiten des Staates stark eingeschränkt. Deutsche, französische und italienischen Geldinstitute kontrollieren derzeit etwa 90 Prozent des Bankkapitals.
Besonders deutlich zeigte sich diese Entwicklung während der europäischen Schuldenkrise. Die Balkanregion wurde davon stark betroffen, erhielt jedoch keinerlei EU-Hilfen. Die Last der albanischen Staatsschulden stieg rapide, ebenso die Arbeitslosigkeit. Das Ansehen des Staates gleiche »einem Schiedsrichter ohne Höschen«, kommentierte damals eine linke albanische Zeitung.

In dem Maß, wie die staatlichen Institutionen an Einfluss und Ansehen verloren, wuchs die Bedeutung der Parteien, die dafür sorgten, dass ihre Anhänger befriedigt wurden. Entsprechend wurden Konzessionen, Stellen und Staatsaufträge vergeben. Nun sollen nach dem Willen der EU die ausgehöhlten staatlichen Institutionen eine unabhängige Justiz aufbauen und die Korruption bekämpfen. Ein schier unmögliches Unterfangen, denn Albanien gehört zu den ärmsten Staaten Europas. Das durchschnittliche Monatseinkommen liegt bei etwa 340 Euro. Viele junge Menschen wandern angesichts von Arbeits- und Perspektivlosigkeit aus. Mittlerweile leben 1,2 Millionen Albaner im Ausland. Ein Drittel der Jugend im erwerbsfähigen Alter ist arbeitslos.

Als lukrative Erwerbsquelle unter prekären ökonomischen Bedingungen und angesichts eines strukturell schwachen Staates erwies sich in der Vergangenheit eigentlich nur der Drogenanbau. Häufig beschuldigten sich die politischen Parteien gegenseitig, Kontakte zur Drogenmafia zu pflegen und vom Drogenhandel zu profitieren. So warf die Opposition den regierenden Sozialisten immer wieder vor, »schmutzige Deals« mit lokalen Mafiagruppen getätigt zu haben, um Wählerstimmen zu erhalten. Die Sozialisten argumentierten wiederum, dass in der Amtszeit der konservativen Regierung im Dorf Lazarat im Süden des Landes der Anbau von Cannabis offen betrieben werden konnte.

Den Status eines Beitrittskandidaten erhielt Albanien 2014, kurz nachdem 800 Polizisten in einem Großeinsatz gegen die Cannabiszüchter in Lazarat vorgegangen waren und etwa 80 Tonnen der Droge vernichtet hatten. In dem Dorf soll jährlich Cannabis im Wert von 4,5 Milliarden Euro angebaut worden sein – eine Summe, die ungefähr der Hälfte des offiziellen albanischen Bruttoinlandprodukts entspricht.

In ihrem Fortschrittsbericht vom November 2016 hat die EU-Kommission deshalb die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Albanien empfohlen und die Fortschritte bei der Bekämpfung der Drogenkriminalität gelobt. Eine weitere Voraussetzung sei jedoch eine Justizreform, bei der Richter und Staatsanwälte überprüft werden. Auf diesen Posten säßen noch immer Personen, denen Verbindungen zum organisierten Verbrechen und Korruption vorgeworfen werde.
Ohne eine wirtschaftliche Perspektive werden diese Probleme kaum zu lösen sein. Eine absehbare Integration in die EU wäre dabei sicher hilfreich. Das Image des Landes aufzupolieren, wird Edi Rama auf dem Weg nach Europa kaum reichen.