Die Digitalisierung begünstigt den Aufstieg der Neuen Rechten

Online mit rechten reden?

Seite 2 – Das Chaos der Meinungen und das »Auswahlparadox«

»Na und?« könnte man sagen. Diesen Wandel hat Colin Crouch in »Post­demokratie« vor Jahren schon konstatiert. Ebenso ist das Gerede vom Verlust einer allgemeinen Öffentlichkeit falsch. So war es früher in der Bundes­republik üblich, dass sozialdemokratische Arbeiterinnen und Arbeiter Vorwärts lesen, während die CSU ihre Ansichten im Bayernkurier unter die Leute brachte.

Trotzdem erscheinen die jüngsten Veränderungen der politischen Kommunikation in einem neuen Licht, denn die Atomisierung und die Abschottung der Individuen im Zeitalter der Digitalisierung kann helfen, den Aufstieg der Neuen Rechten (im digitalen Raum) zu erklären.

Außerhalb des eigenen Newsfeeds herrschen Unübersichtlichkeit und Durcheinander. Das Chaos der Meinungen erscheint schwer zu ertragen: ­Ökonomen sprechen vom »Auswahlparadox«. Die schiere Anzahl der ­Medien kann überfordern – ebenso wie die Auswahl unter Dutzenden Marmeladensorten im Supermarkt. Eine mögliche Reaktion ist der Wunsch nach Ordnung und Klarheit, um ­Widersprüche nicht aushalten zu müssen: Man sucht nach einer Struktur und einer stabilen Gruppenzugehörigkeit abseits der vielfältigen und unübersichtlichen Außenwelt, nach einem Schwarzweiß-Schema von drinnen und draußen, in dem klar ist, wer Freund und wer Feind ist.

Filterblasen und Facebook-Gruppen versprechen in ihrer Selbstbezüglichkeit Homogenität und Eineindeutigkeit. Die Masse der atomisierten Individuen ist an­fällig für den Populismus, der diese Homogenität verspricht. Die sich selbst bestätigenden Einzelmeinungen werden zusammengebracht. Ordnung soll eine Autorität in Form einer Partei, einer Bewegung oder einer Person bringen, die sich an die Spitze der Masse setzt – auch in der digitalen Welt. Es ist also kein Zufall, dass Donald Trump vorzugsweise via Twitter kommuniziert.

Konzerne, die festlegen, was freie Meinungsäußerung ist, welche Kunst anstößig oder zensurwürdig ist und die auf Kosten von Minder­heiten Gewinne machen, können nicht für ein emanzipatorisches Projekt nutzbar gemacht werden.

Die Rechten scheinen die sozialen Medien also gut verstanden zu haben. Hetze, Falschinformationen, Dramatisierungen sowie Selbstviktimisierung und -darstellung bringen Reichweite und Aufmerksamkeit. Berichterstattung, die sich dieser Zuspitzung und Aufgeregtheit der Sprache nicht fügt, wird an den Rand gedrängt und als »Lügenpresse« diskreditiert.

In der Masse der atomisierten Einzelmeinungen herrscht der Kampf aller gegen alle vor. Jeder will recht behalten. Auseinandersetzungen werden ent­weder abgelehnt oder auf rohe Weise geführt. In den voneinander abgetrennten Teilöffentlichkeiten entscheidet dann am Ende die Gewalt – in der digitalen Welt erscheint sie als Cyber­mobbing und Hetzrede. Pluralität und Austausch als demokratische Prinzipien werden dabei obsolet. Dagegen vorzugehen, verlangt Unnachgiebigkeit und solidarisches Handeln.

Dabei auf die sozialen Medien zu hoffen, ist unbegründet. Sie sind private Unternehmen, die der Logik des Kapitals folgen und nicht einer ­demokratischen Öffentlichkeit und einem politischen Diskurs verpflichtet sind. Konzerne, die festlegen, was freie Meinungsäußerung ist, welche Kunst anstößig oder zensurwürdig ist und die auf Kosten von Minder­heiten Gewinne machen, können nicht für ein emanzipatorisches Projekt nutzbar gemacht werden.

Doch es gibt kein Zurück hinter die Digitalisierung. Was es also braucht, ist ein progressiver Umgang. Jede technologisch entwickelte Gesellschaft ­bedarf des kritischen Denkens, um Fakten von Fiktion unterscheiden zu ­können. Hierfür sind gemeinsamer Austausch, Diskussion und die Suche nach Wahrheit durch Widerspruch notwendig. Dies wird dann zu politischem Handeln, das allerdings nur mit anderen gemeinsam, nie allein, möglich ist. Doch kollektive und beständige Gruppen – von Gewerkschaften über Vereine bis hin zur selbstorganisierten Antifa-Gruppen – verlieren an Einfluss. Anstelle dessen haben die Lüge und das Gerücht Konjunktur und ­schicken sich an, unwidersprochen zu bestehen. Die inhaltliche Konfronta­tion und die Suche nach den Widersprüchen, sowohl offline als auch online, scheinen die beste Möglichkeit zu sein, um der Verrohung der Öffentlichkeit entgegenzuwirken.