Antisemitismus im Fußball: eine Übersicht über die Vorkommnisse im Jahr 2017

Antisemitischer Furor in den Stadien

Seite 2 – Die Vereine distanzieren sich, rechte Ultras stören das Gedenken

 

Zwar distanzierten sich die Vereinsführungen von Borussia Dortmund und Lokomotive Leipzig von den antisemitischen Aufklebern. Der säch­sische Fußballverband hingegen wollte etwa bei den Vorkommnissen in Schildau das Problem nicht erkennen. Der italienische Fußballverband (FIGC) dagegen reagierte mit einer landesweiten Aktion, die einmalig in der Geschichte des europäischen Fußballs sein dürfte. Am zehnten Spieltag der Serie A liefen alle Spieler in T-Shirts mit dem Porträt von Anne Frank und der Aufschrift »Nein zum Antisemitismus« in die Stadien ein. Exemplare des Tagebuchs der Anne Frank und der autobiographische Bericht »Ist das ein Mensch?« des italienischen Holocaust-Überlebenden Primo Levi wurden an die Einlaufkinder verteilt. Anschließend verlasen die Stadionsprecher eine Passage aus dem Tagebuch und ordneten eine Minute Stille an.

In einigen Stadien jedoch störten zumeist rechte Ultras das Gedenken. In Bologna riefen die mitgereisten Anhänger von Lazio Rom einen Lieblingsspruch des faschistischen ­Diktators Benito Mussolini: »Juckt mich nicht!« Einige Fans des Rekordmeisters Juventus Turin sangen während der Lesung aus dem Tagebuch demonstrativ die National­hymne. Hinterher erklärte sich die Fangruppe »Viking Juve 1986« soli­darisch mit den Freunden von »Irriducibili« und wandte sich gegen »rührselige Erinnerungen« sowie die »Lügenpresse«. Selbst einige Ultras des betroffenen Vereins AS Roma störten die Gedenkminute und sangen ihre üblichen Fangesänge.

Das Simon Wiesenthal Center erwähnte in seiner Aufzählung auch zwei Vorfälle außerhalb Europas, im Sudan und Chile.

In den Niederlanden richtet sich der antisemitische Furor hauptsächlich gegen den Hauptstadtklub Ajax Amsterdam. Im Oktober sorgten Fans von Feyenoord Rotterdam für einen Skandal, als sie ein Bild in den sozialen ­Medien veröffentlichten, auf dem zwei jüdische Kinder aus Litauen mit »Judensternen« kurz vor ihrer ­Deportation durch die Nationalsozialisten abgebildet waren. »Als 020 nur einen Stern hatte« war darauf zu lesen – 020 ist die Postleitzahl von Amsterdam. Im Januar berichtete der niederländische Fernsehsender NOS, dass Anhänger des FC Utrecht während des Spiels gegen Ajax Amsterdam »Die Juden werden geschlachtet« riefen. Im Nachbarland Belgien forderte die Belgische ­Föderation der Jüdischen Organi­sationen vom Management des FC Brügge, antisemitische Sprechchöre der Fans zu unterbinden. ­Diese hatten während des Spiels im Dezember gegen den RSC Anderlecht mehrfach gerufen: »Wer nicht hüpft, ist ein Jude«.

Das Simon Wiesenthal Center erwähnte in seiner Aufzählung auch zwei Vorfälle außerhalb Europas. In der höchsten Fußballliga des Sudan zeigte die Ultragruppe Blue Lions von Al-Hilal Omdurman eine Choreographie mit dem Konterfei von Adolf Hitler und dem Schriftzug »Holocaust«. Die im Stadion eingesetzten Polizisten störten sich nicht an dieser Aktion. In Chile musste die Partie zwischen Estadio Israelita Maccabi und Club Palestino in der Superliga genannten Amateurspielklasse nach 30 Minuten unterbrochen werden. Spieler und Fans von Palestino agierten von Spielbeginn an unsportlich und aggressiv. Auf und neben dem Platz fielen rassistische und antisemitische Sprüche. Auch die Schiedsrichter gerieten ins Visier der Antisemiten. Zum krönenden ­Abschluss kam ein Fan mit der Fahne Palästinas auf das Spielfeld und schrie einem verletzten Spieler von Maccabi ins Gesicht: »Das ist eine Fahne, nicht so wie deine. Ich wische meinen Arsch mit deiner Fahne ab. Wir werden dich töten, verfickter Jude!« Auch holocaustrelativierende Sprüche wurden registriert.

Zuletzt wirft das SWC in seiner Aufzählung einen Blick auf die Sanktionen des iranischen Regimes gegen Sportler, die in Wettkämpfen gegen Israelis oder israelische Teams an­getreten waren. Vergangenes Jahr traf der staatliche Bannstrahl den Kapitän der Fußballnationalmannschaft. Masoud Shojaei und seinem Teamkollegen Ehsan Hajsafi wurde zur Last gelegt, dass sie für Panionios Athen, ihren griechischen Verein, in der Europa-League-Qualifikation gegen Maccabi Tel Aviv angetreten waren. Die Spieler hatten sich im Hinspiel in Israel noch geweigert anzutreten – trotz einer ihnen von ihrem Verein angedrohten Geldstrafe. Im Rückspiel in Athen liefen sie dann auf. »Die beiden Spieler haben die rote Linie überschritten und wurden daher aus der Nationalmannschaft aus­geschlossen«, ließ der iranische Vize­sportminister Mohammed Resa ­Dawarsani mitteilen. Ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, nimmt die sportliche Führung des Iran eine eklatante Schwächung ihrer Nationalmannschaft in Kauf. Die Chance auf eine erfolgreiche Teilnahme bei der Weltmeisterschaft im Sommer in Russland hat diese Suspendierung deutlich geschmälert. Kapitän ­Masoud Shojaei war den Verantwortlichen schon länger ein Dorn im Auge. So setzte er sich bei Präsident Hassan Rohani dafür ein, Frauen nicht weiter zu verbieten, im Stadion Männerfußballspiele zu verfolgen.

Der Beschluss von US-Präsident Donald Trump, die US-amerikanische Botschaft in Israel von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen, sorgte auch in vielen Fußballstadien der Welt für heftige Reaktionen. So spielte beim folgenden Heimspiel des FC St. Pauli die Stadionregie in der Halbzeitpause das antisemitische Lied »Intifada« von Ska P. Am deutlichsten zeigten die Fans von Celtic Glasgow ihre Ablehnung. Sie hielten während des Spiels gegen Hibernian Edinburgh Banner mit der Aufschrift »Jerusalem is Palestine« und »Fuck Trump« hoch. Schon im Jahr zuvor hatten die Celtic-Fans im Play-off-Spiel zur Champions League gegen den israelischen Club Hapoel Be’er Sheva eine Choreographie mit Hunderten kl einen Palästinafahnen aufgeführt.