Können Mode, Styles und Looks Identitäten formen?

Du bist nicht, was du trägst

Seite 2 – Ästhetische und formale Anschlüsse sind keine Identitäten

 

Um es anschaulicher zu machen: ­Einer der erfolgreichsten jüngeren Designer der Gegenwart – der Russe Gosha Rubchinskiy – arbeitet in seine Entwürfe eine ganze Reihe von farblichen und materiellen Referenzen an die Looks von Skatern und anderen Jugendgruppen im post­sozialistischen Russland ein. Da sind die seltsam aus­geblichenen Rot-, Grün- und Blautöne; die sich sehr »synthetisch« anfühlenden Jacken- und Jeansstoffe; da sind die diagonal gesetzten Schriftzüge auf rotem Grund, die noch weiter in die ­Geschichte sowjetischen Designs bis in die zwanziger Jahre zurückschauen, in denen stilisierte Abbildungen und Embleme Uniformen für Sport und ­Arbeit schmücken sollten, wie sie sich die Konstruktivistinnen und Konstruktivisten vorstellten. Hinzu kommt der selbstbewusste Gebrauch des ­kyrillischen Alphabets, der Rubchinskiys Namen in den Augen einer west­lichen Kundschaft zum kaum lesbaren, aber graphisch-bildartig wiedererkennbaren Signet macht und mit dem er das Logo der Skatemarke Thra­sher sozusagen von Osten her betrachtet.

Dies hat alles sehr viel mit ästhetischen und formalen Anschlüssen an eine national und postnational formatierte Ressource von Kleidungsweisen zu tun, mit deren sozialer Einbettung sowie mit kulturellen Dynamiken und Hegemonien – aber nichts mit »Identität«.

Rubchinskiy-Fans – die seine Entwürfe hauptsächlich durch die in ­Japan und Frankreich beheimatete Marke der Modedesignerin Rei ­Kawakubo, Comme des Garçons, und den zugehörigen Dover Street Markets erwerben können – signalisieren ­weder ihre Zugehörigkeit noch Nichtzugehörigkeit zum postsowjetischen Kulturraum, dessen Perspektiven zwar in die Entwicklung des Styles eingehen, aber als Mode eben nicht mehr von dort aus sprechen. Wenn es hier überhaupt zu einer Ausbildung eines community look kommt – den man wiederum nicht mit »Identität« verwechseln sollte – so kann man, wie es die Autorin, Künstlerin und Stylistin Ella Plevin vorgeschlagen hat, eher von Outfits für Fuckboys sprechen, die sich durch ­einen bestimmten, auf den ersten Blick »vulnerablen«, de facto aber zynisch-abgezockt-passiven Habitus kennzeichnen.

Genauso wenig kulturalistisch sind übrigens die verschiedenen Durch­arbeitungen von US-amerikanischen Kulturreferenzen aller Sorten, die der Designer Raf Simons, der vom belgischen Newbeat und der Liebe für ­Uniformen des Industrial Design zutiefst »europäisch« geprägt ist, in seinen ersten Kollektionen für die US-Megamarke Calvin Klein unternimmt. Die Referenzen an die New Yorker ­Warhol Factory nerven hier zwar, aber eben weil sie sich an einen bestimmten Untergrundmythos anhängen, und nicht, weil sie eine Factory-artige »Identität« subkultureller Antistars propagieren würden.

Das Missverständnis findet man sogar bei anderweitig sehr hellsichtigen Theorien, etwa bei den in den neunziger Jahren extrem populären Betrachtungen des Tanzstils Voguing, die in dessen Posen Modelle für die generelle Perfomativität von Gender sahen. Daraus wurde dann schnell ein Verständnis, das annahm, auch an den täglichen Performances der Mode könne man ­sehen, wie Identitäten aufgeführt würden. Das ergibt aber nur Sinn, solange Identität und Aufführung als Widerspruch wahrgenommen werden. Diese Interpretation vernachlässigt die viel wichtigeren Aspekte, die hinter Voguing stehen: die Skills, die Aneignungsmacht aus der Position der Unterprivilegierten, das Können und die Anerkennung, die dafür gezollt werden müssen, die Solidarität zwischen denen, die andernorts von ihren Familien verstoßen wurden und, ja, auch die Er­findungskraft. Auf dem Runway, auf der Straße oder online werden so neue Gesten, Styles, neue Körper erfunden, indem vorhandene modifiziert, differenziert, dem ständigen Urteil unterworfen werden.

Selbst da, wo stilistische Kohärenz, eine Signatur sichtbar wird, ist diese eben genau dies: Markenzeichen eines Tuns und nicht die Marksteine von Identitäten.

 

Philipp Ekardt lebt in London, ist ehemaliger Chefredakteur der Kunstzeitschrift »Texte zur Kunst« und arbeitet zur Zeit an einem Forschungsprojekt zu Theorie und Literatur der Bildzirkulation in der GoetheZeit. Sein Buch »Benjamin and Fashion« erscheint Ende diesen Jahres bei Bloomsbury Academic.