Die #MeToo-Kampagne hat auch die 68. Berlinale erreicht

Die Berlinale als politische Anstalt

Seite 2 – Das Programm

 

Zum Programm: Den Wettbewerb und damit die gesamte Berlinale eröffnet ein schöner bunter Wes-Anderson-Film (»Isle of Dogs«, Großbritannien 2018), bevor es soziale und politische Themen hagelt. »Sieben Tage in Entebbe« (Großbritannien 2018) kümmert sich um antiimperialistische Kämpfe in den siebziger Jahren, »Black 47« (Irland 2018) thematisiert die irische Hungerkatas­trophe im 19. Jahrhundert, und »Eldorado« (Deutschland 2018) ist nah bei den Flüchtlingen im Mittelmeer.

Die Sektion Forum liefert einen vierstündigen Film über Uruguays Weg aus der Diktatur (»Unas preguntas«) und zwischen allerlei Standbildserien politische Alltagsbewältigung: Die Besucher am Treptower Ehrenmal der Roten Armee kriegen ihr Fett ebenso weg (»Den’ Pobedy«, Deutschland 2018) wie der ehemalige österreichische Kanzler Kurt Waldheim (»Waldheims Walzer«, Österreich 2018).

 

Seit Jahren kommt von deutschen Filmkritikern der Vorwurf, das Festival sei zu bedeutungslos in der Welt, weil es eine plakativ politische Diversity-Show sei. Mehr Bedeutung – soll das bedeuten, dass Deutschland als Export-Primus auch beim Kino die erste Geige spielt?

 

Unter den über 400 Filmen die Perlen herauszusuchen, ist ordentlich Arbeit. Selten hat man den Eindruck, dass die Sektionen miteinander kommunizieren – die Auswahl wirkt beliebig, wenn nicht chaotisch. Die Berlinale ist mit ihren vielen weiteren Reihen wie Retrospektive, Perspektive deutsches Kino oder ­Generation eher so etwas wie ein Filmfestival-Verbund. Den Freund von Filmen, die es ohne die Berli­nale nicht gäbe, freut es. Andere meckern, und es gibt schon einen Aufruf von Filmschaffenden, den langjährigen Direktor alsbald umweltschonend zu entsorgen. Darunter einige, die es ohne Dieter Kosslick ebenfalls gar nicht gäbe, zumindest nicht als Regisseure. Wer sonst würde zum Beispiel einen Film von Thomas Arslan in einen wichtigen Wettbewerb stecken? »Die Neubesetzung der Leitung«, schreiben die 79 Kosslick-Kritiker, »bietet die Chance, das Festival programmatisch zu erneuern und zu entschlacken.«

Filmschaffende möchten wirklich, dass es auf dem größten Publikumsfilmfestival der Welt gradliniger zugeht? Dass weniger Filme laufen? Ein interessanter Ansatz.

 

 

Berlinale, Mississippi Burning

Aus »Mississippi Burning«. Willem Dafoe wird mit einer Hommage geehrt

Bild:
Berlinale

 

Überhaupt, Leute. Seit Jahren kommt von deutschen Filmkritikern der Vorwurf, das Festival sei zu bedeutungslos in der Welt, weil es eine plakativ politische Diversity-Show sei. Mehr Bedeutung – soll das bedeuten, dass Deutschland als Export-Primus auch beim Kino die erste Geige spielt?

Auf der parallel zur Berlinale stattfindenden »Woche der Kritik« fragen die Filmexperten dieses Jahr nach so etwas. Und nach dem Publikum: »Wie Vorstellungen vom Publikum die Arbeit mit dem Kino prägen, was es heißt, bestimmte Besucherzahlen erreichen zu müssen und welche Auswirkungen es hat, sich als Publikumsfestival zu verstehen.« Das ist allerdings auch politisch, ebenso wie die Filme, die dort laufen. Berlinale und »Woche der Kritik« ergänzen sich bestens. Deren Homepage ist übrigens sehr schön und zeigt ein volles Autokino. Lauter Karren schauen in Richtung Leinwand. Anders als wir gucken die auch nicht. Man könnte uns durch Automaten ersetzen.

Die Antwort auf die Fragen nach dem Publikum ist schnell gefunden: Das schläft nachts vor dem Ticketschalter, kloppt sich um die Karten, rennt in die vollgestopften Vorstellungen, bricht jedes Jahr neue Besucherrekorde. Die Berlinale kriegt etwas ganz Besonderes hin: Sie kann jede filmische Standspur zeigen – Menschen, die sie sich ansehen, finden sich dennoch zuhauf. Und damit der Stoff Film bis in den letzten Winkel der Stadt dringt, hat sich Berlins Justizsenator Dirk Behrendt was Besonderes einfallen lassen. Die Berlinale zeigt ihre Filme dieses Jahr auch in den Knästen. »So können wir auch das Leben in Haft dem Leben in Freiheit ein Stück ­weiter angleichen.«

Ob das nötig ist, sei dahingestellt. Behrendts Knäste haben sich in den vergangenen Wochen als dermaßen durchlässig erwiesen, dass die Knackis sich die Karte auch am Ticketschalter besorgen könnten.