In Griechenland zeichnet sich eine neue Querfront ab

Die neue Melodie des Mikis Theodorakis

Der griechische Komponist und ehemalige Widerstandskämpfer Mikis Theodorakis trat auf einer Athener Nationalistendemonstration als Redner auf. Eine neue Querfront zeichnet sich ab.

Seit etwa drei Monaten verhandelt die griechische Regierung unter Ministerpräsident Alexis Tsipras (Syriza) mit der mazedonischen Regierung von Zoran Zaev (SDSM), der im Mai 2017 zum Ministerpräsidenten Mazedoniens gewählt wurde, über die Beendigung des bereits seit 1991 schwelenden Namenskonflikts zwischen den beiden benachbarten Ländern. Der griechische Staat beharrt auf dem Namen »ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien« (Former Yugoslavian Republik of Macedonia, FYROM) für das Nachbarland und blockiert dessen Beitritt zur EU und Nato. Sogar UN-Delegierte nehmen Teil an diesen Verhandlungen, die, so die beiden Regierungen, ein neues Kapitel eines freundschaftlichen Verhältnisses und wirtschaftlicher Kooperation zwischen den Nachbarn eröffnen soll.

Als die ersten Namensvorschläge wie »Neues Mazedonien« oder »Nord-Mazedonien« für den von Griechenland nicht anerkannten und dort meist nur als »Skopje« bezeichneten Staat in den Medien kursierten, meldeten sich Nationalisten zu Wort und mobilisierten zu Demonstrationen gegen die Regierung. Am 21. Januar versammelten sich in Thessaloniki nach Angaben der Polizei etwa 90 000 Menschen, um gegen eine Namenswahl des Nachbarlands mit dem Bestandteil »Maze­donien« zu protestieren. Das Bündnis der Organisatoren reichte von der griechisch-orthodoxen Kirche über den rechten Flügel der größten Oppositionspartei Nea Dimokratia (ND) und Generäle der griechischen Armee bis zur neonazistischen Partei Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte). Die anfangs von der ND-Führung ausgegebene Direktive, nicht an der Demonstration teilzunehmen, wurde vom rechten Parteiflügel missachtet, darunter dem Präfekten der griechischen Verwaltungsregion Zentralmazedonien, Apostolos Tzitzikostas, und dem ehemaligen Ministerpräsidenten Antonis Samaras. Während auf der Kundgebung rassistische, nationalistische und gegen die politische Führungsschicht gerichtete Slogans skandiert wurden (»Gauner, Verräter, Politiker«) und ein Redner die Armee hochleben ließ, brannten faschistische Ultras des Fußballvereins PAOK Saloniki mit – wie Videos in den sozialen Medien belegen – Unterstützung der MAT, der Aufstandsbekämpfungskräfte der Polizei, das von Anarchistinnen und Anarchisten besetzte Haus Libertatia ­nieder.

 

Auf der Kundgebung in Athen unter dem Motto »Makedonien bedeutet Griechenland« nahmen auch einige Fraktionen der nationalistischen, staatsorientierten Linken teil.

 

An der Kundgebung auf dem Syntagma-Platz in Athen vor dem griechischen Parlament am 4. Februar unter dem Motto »Makedonien bedeutet Griechenland« nahmen auch einige Fraktionen der nationalistischen, staatsorientierten Linken teil. Als deren Exponent trat der Komponist Mikis Theodorakis als Redner vor 300 000 Menschen auf. Der heftigen Kritik, die seine Teilnahme innerhalb des linken Milieus auslöste – eine antiautoritäre Gruppe verübte einen Farbanschlag auf sein Haus –, entgegnete der 93jährige ehemalige Widerstandskämpfer: »Ich bin Internationalist und bekämpfe den Faschismus (…) insbesondere in seiner gefährlichsten Form, der linksgerichteten, wie der der extremistischen Kleingruppen, die schlicht feige Terroristen sind, und der der Minderheiten, die uns regieren und unser Land zerstören.« Diese Aussage ist angesichts der Zusammensetzung der Demonstration – immerhin handelt es sich um ein faktisches Bündnis mit erklärten Anhängern des NS-Regimes – und der aus der Demonstration heraus erfolgten Angriffe auf Linke, Anarchisten und Migranten grotesk. Einzig und allein wegen der effektiven Selbstorganisation der linken, autonomen und migrantischen Gruppen, die nach der Erfahrung von Thessaloniki in Athen besser vorbereitet waren, konnten weitere Brandanschläge verhindert werden.

 

Politische Regression

 

Die exponierte Teilnahme von Theodorakis an der Athener Kundgebung stellt eine nicht zu unterschätzende Wende in der Politik Griechenlands dar. Während der Massenproteste gegen die von der Troika diktierte Austeritätspolitik 2011 hatte sich die ältere, von den antiimperialistischen Kämpfen seit der deutschen Besatzung geprägte ­Generation um die von Theodorakis gegründete Organisation Spitha (Funke) gesammelt. Dieses Milieu richtet sich nun zwar gegen die aus diesen Protesten hervorgegangene Regierung, ­allerdings in einer aus Sicht der sozialen Bewegungen vollkommen irrelevanten Frage und mit einem Irrationalismus, der überdies das faschistische Lager von den Nostalgikern der Junta bis zu den Anhängern von Chrysi Avgi salonfähig macht. Es handelt sich auch nicht um einen Einzelfall. Neben der »patriotischen« Epam (Vereinigte Volksfront) des ehemaligen Mitglieds der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE), Dimitris Kazakis, hat auch die ehemalige Syriza-Parlamentsprä­sidentin und jetzige Vorsitzende der Kleinpartei Plefsi Eleftherias (Kurs der Freiheit), Zoi Konstantopoulou, die Athener Demonstration unterstützt; ebenso die Kommunistische Organi­sation Griechenlands (KOE), eine postmaoistische Organisation, die ebenfalls bis 2015 Bestandteil von Syriza war.

Diese politische Regression ist nicht ohne das Zutun der etablierten Linken zustande gekommen. Die Kapitulation der Syriza-Regierung im Sommer 2015, die seit der Unterzeichnung des dritten Memorandums weitgehend widerstands- und protestlos die Vorgaben der Gläubiger befolgt, hat die gesamte Linke in eine tiefe Depression gestürzt und das Feld der politischen Rechten überlassen. Der Nationalismus wird nun zum einigenden Band heterogener ­politischer Organisationen, deren treibende Kraft die Faschisten sind. Die ­soziale Frustration findet ein Ventil im nationalistischen Delirium, dessen Nutznießer neben der Chrysi Avgi die völkisch-nationalistische Rechte in der ND um Samaras ist.

Bereits zu Beginn der neunziger Jahre gehörte Samaras mit der von ihm gegründeten Partei Politiki Anixi (Politischer Frühling) zu den führenden ­Nationalisten im Namensstreit mit der Republik Mazedonien. Es ging darum, sich ein möglichst großes Stück des zerfallenden Jugoslawien zu sichern und sich als eine Art lokaler Vormacht zu etablieren. Das ist in Mazedonien im Bankenbereich und im Einzelhandel, aber auch beim Handel mit Treibstoffen und bei der Elektrizitätsversorgung gelungen, wo griechische Unternehmen sich marktbeherrschende Positionen sichern konnten. Angesichts dieser Sachlage sind alle Behauptungen, man verteidige die nationale Souveränität Griechenlands, absurd.

Der rechte Flügel der ND betreibt angesichts der Herabstufung Griechenlands in der EU ein machtpolitisches Rückzugsgefecht, das allerdings innenpolitisch auf das gesamte rechte Lager und bis weit in die politische Mitte ­hinein Sogwirkung entfaltet. Denn das neoliberale Programm des liberalen Zentrums der ND ist kaum dazu angetan, ideologische Integrationskraft zu entfalten.

Die griechische Regierung ist zwar gewillt, einer Lösung im Namensstreit zu erzielen, kommt aber durch die rechten Mobilisierungserfolge erheblich unter Druck. Denn das Außen­ministerium verhandelt ohne die Unterstützung des kleinen Koalitionspartners Anel, den in dieser Frage strikt nationalistischen »Unabhängigen Griechen«.

Allerdings hat die Regierung Tsipras noch ein Druckmittel, den Novartis-Skandal: Auch in Zeiten der Krise haben nämlich nach ersten Erkenntnissen die Vertreter der ehemaligen Regierungsparteien Schmiergelder in großem Umfang angenommen und als Gegenleistung dem Schweizer Pharmakonzern höhere Preise für Medikamente und einen besseren Marktzugang gewährt. Die Folgen des Skandals sind noch lange nicht absehbar, wurden von Tsipras aber geschickt zur Polemik gegen die »Offshore-Patrioten« und die »Patrioten-Korruption« genutzt.

Gleichermaßen gegen die nationalistische Mobilisierung in der Mazedo­nien-Frage und gegen die Regierung treten das Milieu der antiautoritären Gruppen, der radikalen außenparlamentarischen Linken sowie die KKE auf. Am 3. Februar fanden in Athen mehrere antifaschistische Demonstrationen statt, zu denen unter anderem die plurale antikapitalistische Bewegungspartei Antarsya und die von Syriza 2015 abgespaltene kleine Anti-Euro-Partei Laiki Enotita (Volkseinheit) aufgerufen hatten.

An der Privatisierung des Flughafens von Thessaloniki, der den Namen »Makedonia« trägt, zugunsten der ­Betreibergesellschaft des Frankfurter Flughafens Fraport gebe es seitens der Nationalisten keine Einwände, spottete die linke Wochenzeitung Prin. Derartige Widersprüche sind durch die Welle des Chauvinismus vorerst zugedeckt.

 

Die »Befreiung« Griechenlands. Am 20. August soll Griechenland nach acht Jahren aus dem sogenannten Hilfsprogramm der Euro-Zone entlassen werden, als letzter von fünf Krisenstaaten. Der griechische Staat soll sich dann wieder aus eigener Kraft an den Finanzmärkten refinanzieren. »Mit der Kreditvergabe beendet die Euro-Zone auch die engmaschige Überwachung Griechenlands«, schrieb das Handelsblatt am 8. Februar. »Ehemalige Programmstaaten werden zwar auch kontrolliert, aber nur halbjährlich und relativ oberflächlich. Die Troika, Sinnbild für Spar- und Reformdiktate, rückt aus Athen ab – eine ­Befreiung für die griechische Regierung.«