»Jardin du Boeuf«: Das neue Album von Les Trucs

Im Fleischgarten

Auf dem neuen Album von Les Trucs wird der Körper zum musikalischen Happening.

Was ist ein Mensch? Aus der Sicht von Charlotte Simon und Toben Piel von der Band Les Trucs handelt es sich dabei um ein Wesen, das sich selbst erschafft. Wie so etwas vor sich geht und was das für Folgen nach sich zieht, erzählen die beiden Musiker auf ihrem neuen Konzeptalbum »Jardin du Boeuf«. Mit diesem »Fleischgarten« (der auch als Musiktheaterstück in Frankfurt aufgeführt wird) gelingt dem Duo nichts Geringeres, als Mary Shelleys berühmtesten Roman fortzuschreiben. Der Wissenschaftler Viktor Frankenstein tritt hier als »ein Chirurg« auf, der sich selbst als Künstler-Monster zu neuem Leben erweckt und von dem die acht Songs des Albums handeln.

»Song« steht hier für den Widerstand, den Simon und Piel bei jeder sich bietenden Gelegenheit, also auch bei jedem ihrer Lieder, leisten wollen. Ihrem fröhlichen, sehr tanzbaren Dissens mit der Welt übertragen sie auch auf ihre Kunstproduk­tion. Les Trucs spielen dementsprechend Musik, die sich auch gegen sich selbst richtet. Sie beinhaltet ein ebenso formstrenges wie trotziges elektronisches Quietschen. Ihre Songtexte tragen Simon und Piel mit Absicht so vor, als wollten sie sich mit Sprachmelodien anlegen. Zwischen den Silben von Worten setzen sie dafür kantig unterbrechende Pausen. Ein Verb wie »haf-ten« klingt nach solcher Behandlung durch Les Trucs wie eine Artikulationsexpedition, deren Ziel darin besteht, den Rhythmus aus dem Rhythmus zu bringen.

In der Haltung, der Musik und den Texten von Les Trucs klingt dabei die Avantgarde des 19. und 20. Jahrhunderts durch. Denn dieses Do-It-Yourself-Wesen, dem unter anderem »ein halbes Schienbein« sowie »ein dritter Arm« anoperiert wird (wie man im Opener »Ein Chirurg« hören kann), trägt eine Menge Kulturgeschichte auf dem Buckel. An einem Nachmittag mag es als Mal­larmés Faun erwachen und ein Opfer darbringen, um Strawinskys Gott des Frühlings gnädig zu stimmen. Es stellt Duchamps Urinal und einen Flaschenhalter als Ready-mades aus und legt eine Vaselinetube von Jean Genet in die Ecke.

An die Wände hängt es Andy Warhols Bilderserien von Suppendosen und klaut ein paar Locken aus den skandalös langen Haaren der Musiker John Lennon und Paul McCartney. An die Decke klebt es eine Sicherheitsnadel, weil Johnny Rotten die mal im Mundwinkel getragen haben soll.

Bei der Vernissage achtet der Fleischgarten nach Bertolt Brechts Anweisung ­darauf, bloß nicht so romantisch zu glotzen. Zur weiteren Unterhaltung der Besucher benutzt das Wesen Instrumente, die die japanischen Firmen Korg und Roland zwischen dem Ende der siebziger Jahre und dem Anfang der achtziger Jahre auf den Markt brachten, darunter den Analogsynthesizer MS 20 und den TB 303. Die Musik, die aus dem Fleischgarten zu hören ist und von Les Trucs gespielt wird, nimmt Einflüsse von Grupen aus derselben Zeit auf, unter ihnen Liaisons Dangereuses, Der Plan oder Gary Numan und seine Tubeway Army.

Der Künstler baut aber nicht nur seine Bestandteile neu zusammen, er entdeckt auch eins an sich, an das er sich gar nicht erinnern kann. Les Trucs nennen es »Das vergessene Organ«. Die singenden Gäste Wolfgang Müller und Felix Kubin nennen ­seinen Namen: »Die Milz«, welche auf Englisch »spleen« heißt und so darauf deutet, dass ein Künstler mit seinem Körper so schöpferisch umgehen kann wie mit seinen Eingebungen und Marotten. Das wiederentdeckte Organ lässt den Chirurgen auf die Suche nach der »Nische« gehen, die Kolleginnen und Kollegen zwischen Übungsraum und Marktlücke zu finden hoffen.

Worauf ein Künstler es dann an­legen oder worauf er sich mindestens gefasst machen sollte, fassen Les Trucs in einem Bild aus »Blut, Eiter, Kot und Insekten« zusammen. Was er da an Körpersäften und Körperresten zurücklässt, über das sich die Fliegen hermachen, ist das alte Ich.