Die österreichische Geheimdienstaffäre betrifft auch Daten aus Deutschland

Staatsgeheimnisse im Posteingang

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Unterdessen fürchten weiterhin beschäftigte wie auch von der FPÖ aus dem Job gedrängte BVT-Mitarbeiter um Leib und Leben. So schrieb der sus­pendierte Leiter der Abteilung Nachrichtendienste einen dramatischen Appell an das Parlament, in dem er die Abgeordneten aufforderte, dafür Sorge zu tragen, dass sein Name und die Namen anderer Mitarbeiterinnen nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Eine berechtigte Sorge, denn die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft liegt mittlerweile auch den Medien vor und nennt Dutzende Agentinnen und Agenten mit Klarnamen, Telefonnummer und ­Adresse. Die Gefahr für die Betroffenen ist real, haben doch einige Verfassungsschützer gegen gewaltbereite Islamisten und Neonazis ermittelt und ­Aktionen durchgeführt, die gegen Staaten wie Nordkorea und den Iran ­gerichtet waren. Am 11. Juni trat das österreichische Parlament auf Antrag der Oppositionsparteien SPÖ, Neos und der Liste Pilz zu einer Sondersitzung zusammen, um den Skandal zu erörtern. Dabei kam es zu einem Eklat. Als die Abgeordnete Alma Zadić (Liste Pilz), die als Zehnjährige mit ihren Eltern als bosnischer Kriegsflüchtling nach Österreich gekommen war, in ihrer Rede auf die Bedrohungslage durch die chaotischen Vorgänge rund um das BVT hinwies, rief der ÖVP-Parlamentarier Johann Rädler dazwischen: »Sie sind nicht in Bosnien! Verwechseln Sie das nicht!« Der FPÖ-Abgeordnete Wolfgang Zanger rief: »Alma, bei mir bist du ­sicher.«

Während Österreich seinen Geheimdienstskandal mühsam aufklärt, wird die Beziehung zu den deutschen Diensten täglich schlechter. Am Wochenende wurde bekannt, dass der Bundesnachrichtendienst tausende Ziele in Österreich ausspioniert haben soll. Bundeskanzler Sebastian Kurz und Bundespräsident Alexander Van der Bellen ­fordern von Deutschland »volle Aufklärung«. Geheimdienstexperten ­verweisen jedoch auf informelle Absprachen zwischen den Diensten, Deutschland sei als Gegenleistung für den Austausch von Informationen ­sozusagen freie Hand in Österreich gegeben worden.

Ins Rollen gebracht hatte die ganze Affäre ein anonymer ehemaliger Mit­arbeiter des BVT, der voriges Jahr per E-Mail ein Konvolut mit teils grotesken Vorwürfen gegen den Verfassungsschutz an mehrere Journalisten sowie an die FPÖ verschickt hatte. Die Wiener Korruptionsstaatsanwaltschaft, die in dem Fall ermittelt, hat nun das Ansuchen an Google gestellt, die Identität dieser Person preiszugeben, denn das Material wurde per Gmail verschickt. Österreichische IT-Experten hatten bislang nur herausfinden können, aus welcher Landeshauptstadt die Mails verschickt wurden. Von den Fähig­keiten des FBI ist man in Wien offenbar weit entfernt.