Ein Besuch bei einer Land­kommune, die nicht als solche bezeichnet werden will

Landwirtschaft von links

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Reportage Von

Den Hofalltag, die Selbstversorgung und die ökologischen Aufzucht- und ­Anbaumethoden verstehen die Bewohner und Bewohnerinnen als Versuch, ihr persönliches Streben nach Glück und Leben im Kollektiv mit einem ­politischen Anspruch an Zusammenleben, Ökologie und Ökonomie zu ­verbinden. Das Ziel sei, »politische Einstellung mit dem in Einklang bringen, was man lebt«, sagt Jost. Der Hof versorgt sich selbst mit Solarstrom, wirtschaftet so, dass der Boden und die Nährstoffe in ihm erhalten bleiben. Pestizide und Kunstdünger werden nicht verwendet, stattdessen gibt es ­einen Misthaufen, auf dem große Kürbisse wachsen. Die Tiere verbringen ihr Leben in großzügigem Freilauf. ­Beschauliche Idylle ist aber nicht das, was die Menschen hier auf dem Hof ­suchen.

Das »Ausstrahlen«, wie Jost es nennt, gehört genauso zum täglichen Leben wie die Ernte oder dass jeder einmal pro Woche kocht. Ausstrahlen heißt, politische Arbeit auch außerhalb des Hofs zu machen. Seit seinem Bestehen ist der Ulenkrug in der Geflüchteten­politik aktiv, unterstützt selbstorganisierte Projekte und Initiativen von ­Geflüchteten und bietet individuelle Unterstützung.

Niemand verbringt alle zwölf Monate im Jahr in derselben Kooperative.

Seit im nahegelegenen Demmin die NPD immer am 8. März Demonstrationen abhält, engagiert sich der Hof auch im Bündnis »Demmin nazifrei« und arbeitet mit anderen antifaschistischen Projekten in Mecklenburg zusammen. Selbstverständlich sind auch Klimapolitik, Saatguterhaltung und die Kritik an großen Agrarkonzernen wichtige Themen für die Bewohner. Sie betreiben eine intensive Vernetzung mit Bauern weltweit. Vor allem mit Kollegen in Afrika und Lateinamerika, wo Bauern noch stärker auf patentiertes Gensaatgut angewiesen sind, tauschen sie sich über selbstbestimmte Landwirtschaft aus. Auf Augenhöhe, wie nachdrücklich versichert wird. Ein dauerhaftes Projekt, in dem Agrarthemen und antirassistische Arbeit zusammenlaufen, ist der Kampf gegen die Ausbeutung illegalisierter Landarbeiter und Landarbeiterinnen in Rumänien, Italien oder Spanien.

Ieke und Julienne führen mich über das Gelände, zeigen die inzwischen leeren Bienenkörbe, das von Kirschbäumen überwachsene Hühnergehege, die Kohlbeete und den kleinen Forst. Julienne ist in einer »Longo maï«-­Kooperative geboren und aufgewachsen. Mit 18 verließ sie diese und kehrte 15 Jahre später zurück. Viele leben zu verschiedenen ­Zeiten in verschiedenen Kooperativen. Der rege Austausch zwischen den Projekten ist Teil des Konzepts. ­Eigentlich verbringt niemand zwölf Monate im Jahr am selben Ort. Die Menschen aus den Kooperativen gehen mal nach Frankreich zur Weinernte und mal in die Ukraine, um Ziegen zu hüten. So nähern sich die knapp 200 Mitglieder, die über die Kooperativen verteilt sind, einander an. Und so ergibt sich auch eine politische Perspektive, über Grenzen hinweg.

Irgendwann regnet es dann doch noch, nicht viel, aber immerhin. Ieke sitzt auf einem Tisch hinter dem ehemaligen Schweinestall und freut sich darüber. Sie ist für Getreide am Hof ­zuständig und engagiert sich mit einem anderen Bewohner in der Saatguterhaltung. Als die landwirtschaftliche Gendatenbank 2006 begann, genmodifizierte Sorten aufzunehmen und damit den Erhalt der alten Sorten gefährdete, organisierte Ieke im Jahr darauf eine Konferenz. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer beschlossen, die Aufgabe der Genbank selbst zu übernehmen. Viele der 150 Teilnehmer, die damals ­Patenschaften für Getreidesorten übernahmen, sind mittlerweile nicht mehr dabei. Der Ulenkrug ist aber geblieben. Gemeinsam sähen Ieke und ihr Mitstreiter die Sorten aus und katalogisieren sie. Inzwischen ziehen sie auch Kreuzungen. Während der Arbeit fliegen immer wieder die Schwalben knapp über die Köpfe hinweg. Ihre Nester haben sie überall in den Häusergiebeln des Hofs gebaut. Naturromantik, die hier selbstverständlich dazugehört.