Small Talk mit Kersten Artus über den Prozess gegen Kristina Hänel und den Paragraphen 219a

»Dieser Paragraph muss verschwinden«

Die Gießener Frauenärztin Kristina Hänel wurde im vergangenen Jahr von dem christlichen Fundamentalisten Klaus Günther Annen auf Grundlage des aus der Nazizeit stammenden Paragraphen 219a angezeigt. Dieser verbietet »Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft«, als solche gilt bereits eine Information über Schwangerschaftsabbrüche, wie Hänel sie auf ihre Homepage gestellt hatte. Das Landgericht Gießen hat die erstgerichtliche Verurteilung jüngst bestätigt. Die Jungle World sprach mit Kersten Artus vom Solidaritätsbündnis für Kristina Hänel.
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Wie lief der Prozess ab?

Wir hatten eine solidarische Kundgebung und viel Applaus, als Kristina mit ihrem Anwalt das Gerichtsgebäude drei Stunden nach dem Prozess wieder verließ. Im Gerichtssaal gab es Applaus nach den Plädoyers. Das Urteil war wie erwartet. Die Berufung wurde verworfen, das erstinstanzliche Urteil bestätigt. Leider hat der Richter weder das Verfahren ausgesetzt noch die Verfassungsmäßigkeit des Paragraphen 219a hinterfragt. Dieser ist eindeutig: Ärztinnen und Ärzte dürfen nicht öffentlich kundtun, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Juristisch gibt es keinen Unterschied zwischen Werbung und Information. Daher muss dieser Paragraph vollständig verschwinden. Nun wird Frau Hänel Revision beim OLG Frankfurt einlegen.

Der Paragraph 219a wird systematisch zur Einschüchterung genutzt. Wie ist die Situation für Ärztinnen und Ärzte, die Abbrüche vornehmen?

Sie können entweder klein beigeben und Informationen von ihrer Website nehmen oder kämpfen wie Nora Szász, Natascha Nicklaus, Kristina Hänel und Bettina Garber. Wer kämpft, muss mit mehreren Tausend Euro Anwalts- und Gerichtskosten rechnen. Sie benötigen daher Hilfe und sind auf Spenden angewiesen. Zugleich haben sich sowohl Ärzte als auch angehende Gynäkologinnen in den vergangenen Monaten stark politisiert. Die Gruppe »Medical Students for Choice« ist sehr aktiv und bewirkt bereits ein Umdenken. Das ist auch wichtig, weil die Versorgungslage mittlerweile dramatisch ist: In einigen Städten und Landkreisen nimmt niemand mehr Abbrüche vor.

Jüngst verglich Papst Franziskus Schwangerschaftsabbrüche mit Auftragsmord. Wie wirkt sich das aus?

Papst Franziskus betätigt sich hier als Spalter, das ist ein ganz schlechtes Signal. Seine Doktrin führt meiner Meinung nach eher dazu, dass Frauen weiter heimlich oder illegal den Abbruch vornehmen lassen – vor allem in Ländern, in denen Abbrüche verboten sind, wie in Malta. Damit trägt er dazu bei, dass die Frauensterblichkeit steigt. Natürlich sind vor allem arme Frauen von dieser Doktrin betroffen, denn Frauen mit gutem Einkommen können ins Ausland fahren und dort eine ungewollte Schwangerschaft beenden. Das ist pure Heuchelei von einem Papst, der vorgibt, für die armen Menschen einzustehen.

Was kann man tun, um von Klagen betroffene Ärztinnen und Ärzte zu unterstützen? Was würden Sie einer Patientin empfehlen, deren Gynäkologin nach Paragraph 219a angeklagt wurde?

Kristina Hänel erfährt wie Nora Szász und Natascha Nicklaus eine unglaubliche Solidarität von ihren Patientinnen und Patienten; Hänel ist ja Allgemeinmedizinerin und hat daher auch viele Männer in ihrer Praxis. Ich würde meine Gynäkologin beim nächsten Gespräch fragen, wie sie zu dem Thema steht und deutlich machen, dass ich solidarisch bin. Vielleicht macht das ja Mut, sich zu bekennen oder sich endlich dazu entschließen, auch Abbrüche vorzunehmen, wenn das noch nicht der Fall ist. Wir benötigen außerdem dringend Spenden, die Konten stehen auf unserer Soli-Website. Wir Frauen sollten auch Mut haben, über unsere eigenen Abbrüche zu sprechen. Außerdem können alle sich an Solidaritätsaktionen beteiligen oder selbst welche initiieren, Abgeordnete anschreiben, Petitionen an das Landesparlament und den Bundestag schreiben oder Mitglied bei Pro Familia werden.