Betroffene eines Fabrikbrands in ­Pakistan prozessieren in Dortmund gegen den Bekleidungshersteller Kik

Blutige Textilien

In Karachi ereignete sich vor sechs Jahren der schwerste Industrie­unfall in der Geschichte Pakistans. Angehörige der Opfer haben den Textildiscounter Kik nun vor einem deutschen Gericht verklagt. Die Richter entscheiden nach pakistanischem Recht.

Für den Textildiscounter Kik war das Geschäftsjahr 2017 das bislang erfolgreichste der Unternehmensgeschichte. Erstmals gelang es dem Unternehmen, dessen Name ein Akronym für »Kunde ist König« ist, einen Nettoumsatz von zwei Milliarden Euro zu erzielen. »Kik ist erfolgreich wie nie. Darauf sind wir stolz«, sagte Patrick Zahn, der Vorsitzende der Geschäftsführung, bei der Präsentation der Geschäftszahlen am 8. August.
Mag der Kunde bei Kik auch König sein, die Arbeiterinnen und Arbeiter, die bei den Zulieferern des Textildiscounters angestellt sind, sind es nicht.

Auch Saeeda Khatoons Sohn arbeitete bei einem Zulieferer des zum Handelskonzern Tengelmann gehörenden Unternehmens. Am 11. September 2012 starb der junge Mann bei einem Brand in der Textilfabrik Ali Enterprises im pakistanischen Karachi. Über 250 Arbeiter verloren beim schwersten Industrieunfall in der Geschichte Pakistans ihr Leben. Kik war der wichtigste Auftraggeber von Ali Enterprises.

»Die Unternehmen kennen die Zustände vor Ort sehr genau und genau deswegen gehen sie dorthin. Es ist einfach billig, dort produzieren zu ­lassen.« Thomas Seibert, Medico International

Im Spätherbst reiste Saeeda Khatoon nach Dortmund. Am dortigen Land­gericht findet seit dem 29. November ein Prozess statt, der darüber entscheiden könnte, ob deutsche Unternehmen künftig für ihre Zulieferer im Ausland haften müssen. Khatoon, zwei weitere Angehörige von Verstorbenen und ein Textilarbeiter, der den Brand schwer verletzt überlebte, werfen Kik vor, für mangelnden Brandschutz und versperrte Fluchtwege in der abgebrannten Fabrik mitverantwortlich gewesen zu sein. Sie fordern je 30 000 Euro Schmerzensgeld von dem Unternehmen.

Das Geld soll die Kläger für die psychischen Belastungen entschädigen, an denen sie infolge des Unglücks leiden.
Am 10. Januar wird das Gericht voraussichtlich bekanntgeben, ob mög­liche Ansprüche der Kläger verjährt sind. Die Richter werden, wie von den Klägern beantragt, nach pakistanischem Recht entscheiden. Dieses sieht vor, dass derartige Schadenersatzklagen spätestens ein Jahr nach dem Tod des Verwandten erhoben werden müssen. Die Kläger reichten ihre Klagen erst zweieinhalb Jahre nach dem Brand ein.

Das European Center for Constitu­tional and Human Rights (ECCHR) und die Menschenrechtsorganisation Me­dico International unterstützen die Kläger. Dem ECCHR zufolge ist die Klage noch nicht verjährt. »Wir weisen darauf hin, dass es im pakistanischen Recht eine Ausnahme von der strengen Verjährungsfrist gibt – wenn bereits über eine gütliche Einigung verhandelt wurde. Tatsächlich haben die Kläger ja mit Kik über eine außergerichtliche Entschädigung verhandelt. Aus unserer Sicht ist die Klage deshalb nicht verjährt«, sagte Miriam Saage-Maaß vom ECCHR der Taz.

Thomas Seibert von Medico International sagte der Jungle World, er halte den Ausgang des Verfahrens für »völlig offen«. So sehr er sich einen Sieg von Khatoon und ihren Mitstreitern wünsche, einfachen, pakistanischen Arbeitern und Arbeiterinnen, die sich während des jahrelangen Konflikts zu Ak­tivisten entwickelt hätten, so entscheidend sei für ihn etwas anderes: »Es ist ein politisches Verfahren, es muss eine Gesetzerweiterung geben. Es kann nicht sein, dass deutsche Unternehmen nicht für die Arbeitsbedingungen verantwortlich sind, die in Fabriken in Asien herrschen, die vollkommen von ­ihnen abhängig sind.«

In Ländern wie Pakistan oder Bangladesh sind die Arbeitsbedingungen in der Textilproduktion extrem schlecht. Die Beschäftigen arbeiten in der Regel an sechs Wochentagen – jeweils zehn bis 14 Stunden. Sie verdienen durchschnittlich zwei Dollar pro Tag und können keinen Urlaub nehmen. Viele ­Unternehmen verstoßen gegen die geltenden Gesetze. In Pakistan hat jeder Arbeiter das Recht auf einen Arbeitsvertrag. Tatsächlich haben etwa 90 Pro­zent der Arbeiter keinen Vertrag und können demnach jederzeit entlassen werden.

Seibert meint, dass die europäischen Textilunternehmen nicht trotz, sondern wegen der schlechten Arbeitsbedingungen in Südasien produzieren lassen. »Die Unternehmen kennen die Zustände vor Ort sehr genau und genau deswegen gehen sie dorthin. Es ist einfach billig, dort produzieren zu ­lassen«, sagte er der Jungle World. Die miserablen Arbeitsbedingungen und die immer wieder vorkommenden schweren Unfälle mit mittlerweile insgesamt Hunderten von Toten seien ­allerdings nicht nur für die Zulieferern von Billiganbietern wie Kik typisch. Die südasiatischen Betriebe hätten viele Kunden: »Ob Zara oder C & A – fast alle lassen sie zu solchen Bedingungen in Asien produzieren.« Vom Endpreis der Produkte in Europa könne man keine Rückschlüsse auf die Arbeitsbedingungen in den Fabriken ziehen.

Saeeda Khatoon kam am ersten Verhandlungstag übrigens nicht zu Wort. Der Richter ließ es nicht zu. Er hätte ihr ohne Probleme das Rederecht zugestehen können.