Über rechte Vereinnahmungsversuche des ostdeutschen Wendeherbstes und warum die Linke daran nicht ganz unschuldig ist

Aufbruch und Einverleibung

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In der offiziellen Erinnerungskultur hat so etwas allenfalls am Rande Platz. Die groß gewordene Bundesrepublik feiert nicht den 4. September, an dem 1989 in Leipzig bei der ersten Montagsdemonstration ein Transparent mit der Aufschrift »Für ein offenes Land mit freien Menschen« entrollt wurde. Sondern sie feiert mit dem 3. Oktober das Inkrafttreten des sogenannten Einigungsvertragsm eine Einverleibung von oben, die Übernahme der politischen und ökonomischen Normen der Bundesrepublik.

»Abgekoppelt von ihrer Entwicklungsgeschichte wird der vormalige Charakter der DDR-Opposition aus der Vereinbarkeit gewisser damaliger Ziele mit den heutigen deutschen Verhältnissen bestimmt«, so hat das Thomas Klein, damals Mitbegründer der Vereinigten Linken, einmal formuliert. Das »Gegen« wurde zu einem »Für« gemacht – nach, wie Klein es nennt, »Maßgabe des heute dominierenden politischen Wertesystems«. Der Historiker Martin Sabrow sprach von einem »narrativen Rahmen«, der »zeitgenössische Zielvorstellungen einer eigenständigen sozialistischen DDR zum realitätsfernen Hirngespinst von Sonderlingen« hat schrumpfen lassen, »die während des Umbruchs den Kontakt zur Bevölkerung verloren hätten«.

Die Linke in Deutschland hat sich nicht gerade hervorgetan dabei, diesen Teil der Geschichte positiv in Erinnerung zu halten. Warum?

Die einen wollten denen, die den Anfang gemacht hatten, das Ende »ihrer DDR« nicht verzeihen, die im Rückblick immer schöner wurde. Andere taten sich damit schwer, weil Protagonisten des Aufbruchs von 1989 bald selbst schon dort angekommen waren, wo man nie hinwollte: im neuen, nun ­gesamtdeutschen Apparat, zum Teil auch: auf der rechten Seite. Letzteres ist eine Tatsache, die es den rechten ­Umdeutungs- und Anschlussversuchen ziemlich einfach macht; die aber über den Wendeherbst so viel aussagt wie der Hinweis auf Biographien nach rechts gedrifteter westdeutscher Ex-Linker über den Zustand des dortigen Denkens: nichts von Belang.

Zudem mag die politische Rhetorik der Wende nicht behagt haben, in der, ­­je länger sie vor sich ging, immer mehr ein »Volk« angerufen wurde. Zwischen dem, was im Osten von links an Runden Tischen und sonstwo ausprobiert wurde, und der aus der westdeutschen Debatte gezogenen linksradikalen Schlussfolgerung »Nie wieder Deutschland« herrschte tiefes gegenseitiges Unverständnis. Und schließlich war die Niederlage dieses Aufbruchs von 1989 in der Tat so unübersehbar, dass für viele das Interesse gegen null ging, sich dieser Tradition zu erinnern. Schon Ende November des Wendejahres waren die alternativen Entwürfe gescheitert, die Geschichte nahm ein anderes Gleis.

Ein bisschen antifaschistische Hausbesetzertradition hier, ein bisschen Erinnerung an den basisgewerkschaftlichen Frühling in den DDR-Betrieben da – für viel mehr hat sich die Linke, die sonst ganz groß in historischer Selbstbespiegelung sein kann, kaum interessiert.

Das alles machte es denen einfach, die den Ausgang der Wendegeschichte bejubeln: Schwarz-Rot-Gold, D-Mark, nationale Freiheitsbewegung. Man muss diese drei Begriffe nur einmal sich beim Betrachten eines AfD-­Wahlplakates in Erinnerung rufen.