Donnerstagsdemonstrationen in Wien gegen die rechte Regierung

Heraus zum Donnerstag

Seite 2 – Solidarität in Ottakring
Reportage Von

Jenseits des Gürtels, auf der zweiten Hälfte der Route, ändern sich das ­Wetter und die Umgebung. Der Regen macht trockener Kälte Platz, die Häuser sind weniger prunkvoll, statt teurer ­Restaurants beherbergen sie die typische Wiener Mischung aus kleinen Gastronomie- und Einzelhandelsläden. Im alten Arbeiterwohnbezirk Ottakring und dem benachbarten Hernals ist die Solidarität mit den Demonstrierenden größer: Die Bewohnerinnen und Bewohner grüßen aus ihren Fenstern, zünden Kerzen an und schwenken Fahnen. Die Rufe und das Winken werden vom Zug freudig erwidert. Heindl sagt, dies seien die Bezirke, in denen »zynisch agierende Firmen Entmietungen durchführen und ganze Häuser aufkaufen – dasselbe wie in anderen europäischen Städten auch«.

Der Demonstrationszug ist äußerst vielfältig, das betrifft nicht nur die vertretenen Altersgruppen und Sub­kulturen, sondern auch das Demonstrationsverhalten. Da wäre der Block der »Omas gegen rechts«, inklusive eigener Splittergruppe, der »Omanzen«. 20 Meter weiter läuft eine kleine kommunistische Reihe unter einem roten Banner. Ihre Sprechchöre verhallen stets, die anderen Demonstrierenden greifen sie nicht auf. Statt Sprech­chören dominieren die schrillen Töne einer Armada von Tröten und Trillerpfeifen. Studierende unterhalten sich lachend. Hier vertreten scheint vor ­allem ein urbanes, linkes bis liberales Milieu, ohne viel autonomes Gehabe und Muskelspielerei, ohne Redebeiträge, die zunächst die Wertform abhandeln, weil Kritik sonst nicht möglich sei. ­Gekämpft wird stattdessen mit den Waffen der Zivilgesellschaft: Trillerpfeifen, Smartphones und Musikbeschallung von DJs, die statt trockenem Politrap den feuchten Poptraum der Millennials aus den Tiefen der neunziger Jahre auferstehen lassen.

»Wir wollen keine politischen Manifeste durch ein Megaphon schreien, sondern Realitäten aufzeigen, betroffenen Personen eine Bühne bieten.« Jelena Gučanin, Journalistin

Bei der Abschlusskundgebung im Leon-Askin-Park in Ottakring kritisiert Mina Miakhel von den Initiativen »Afghan Women in Vienna« und »Flüchtlinge Willkommen Österreich« in ­ihrem Redebeitrag eine praxisferne radikale Linke. »Liebt ihr eure Theorien?« ruft sie, um das Ja, das sie von einigen als Antwort erhält, mit der Frage zu kontern, wie viele linke WGs denn tatsächlich Geflüchtete aufgenommen hätten, statt diese mit ihren hohen linksakademischen An­sprüchen in Castings auszusortieren. Sie fordert, die Andersartigkeit von Geflüchteten anzuerkennen, um inklusiver zu werden – eine politische Umorientierung.

Ein Gedanke, der immer wieder in den Redebeiträgen mitschwingt. Es geht um Alternativen, Wertewandel, Umorientierung. Wie das gehen soll, ­beantworten die Rednerinnen und Redner manchmal selbst: ökonomische ­Alternativen, »Wiederherstellung von Würde«, die derzeit unterdrückt werde, andere Formen des Zusammenseins. Auch Selbstorganisation wird immer wieder genannt.

Pop und Protest

»Wir wollen keine politischen Manifeste durch ein Megaphon schreien, sondern Realitäten aufzeigen, betroffenen Personen eine Bühne bieten, Geschichten erzählen – Alternativen aufzeigen. Das macht uns niedrigschwelliger und zugänglicher als klassisch linke Demonstrationen«, sagt die Journa­listin Jelena Gučanin, die die Demonstrationen mitorganisiert, zwei Wochen nach der Demonstration mit dem Wohnpolitikschwerpunkt. Auch Rick Reuther, der gendersensible Jungen- und ­Männerarbeit macht, organisiert die Demonstrationen mit. Er ist heute ebenfalls zum Treffpunkt in der Nähe des Wiener Hauptbahnhofs gekommen, wo die Demonstration losgehen soll. Reuther verschwindet beinahe zwischen den riesigen Glasfronten, die sich rings umher erheben. Einige ­Meter entfernt zurren Leute die Plane am Lautsprecherwagen fest, erste ­Demonstrierende treffen ein: Es ist wieder Donnerstag, zum 20. Mal.

Um welche Alternativen es geht, können die beiden im Gespräch nicht ­genauer erläutern oder wollen es nicht. Es gehe eben nicht um die Alternative vom Reißbrett, sondern das Zusammenkommen. Darum, Betroffene stark zu machen, ihnen eine Stimme zu geben, das Zusammensein zu stärken. Über 70 Prozent der Rednerinnen und Redner bei den Demonstrationen sind weiblich, mehr als die Hälfte migrantisch oder nichtweiß. Aufgezeigt werden sollen gerade die Antworten, die sonst untergehen würden.

Reuther sieht sich als Teil eines »linken, widerspenstigen Spektrums«. »Nur sind verschiedene Demoformen halt auch für verschiedene Dinge ­geeignet, wir wollen einen Ort schaffen, der allen offen steht. Viele Menschen, die sich bis vor kurzer Zeit als unpolitisch begriffen haben, wurden im Zuge der Regierungsbildung politisiert – wir wollen das kontextualisieren«, sagt er. Gučanin ergänzt: »Deshalb sind bei uns auch keine Parteien vertreten, weder in der Organisation noch auf der Bühne.«
Spaß darf man bei der Suche nach Alternativen auch haben. Bei dieser ­Demonstration, einen Tag vor dem internationalen Frauenkampftag unter dem Motto »No Justice – No Peace«, ist die Gruppe Femme DMC dafür zu­ständig. Zu den Klängen von Clubmusik, südafrikanischem Gqom und HipHop treibt sie den Demonstrationszug vom Bahnhof in Richtung der Schlusskundgebung am Siebenbrunnenplatz. Die Präsenz der Donnerstagsdemonstrationen in den sozialen Medien macht sie anschlussfähiger für eine oft junge, urbane Zivilgesellschaft. Jede Veranstaltung wird breit in den Netzwerken ­beworben, die Demonstrationen werden live übertragen. Wer nicht da ist, kann, so die Idee, dennoch dabei sein.

Es bleibt eine Mischung aus Protest, Zusammenkunft und Pop. Reuther meint dazu: »Politik zu machen, ist irgendwie immer Pop, oder? Die FPÖ hat ja auch Andreas Gabalier! Wieso sollten wir denn unsere ästhetischen Bedürfnisse fallen lassen, wenn wir demonstrieren? Die Linke hat europaweit Design­probleme – da mal ein bisschen was aufzurütteln und nicht zehn Jahre alte Memes weiter zu bedienen, ist vielleicht auch an der Zeit.«

Die nächste Donnerstagsdemonstration am 21. März hat, passend zum ­Internationalen Tag gegen Rassismus, einen antirassistischen Schwerpunkt.