Die französische Regierung will eine Sondereinheit der Armee bei Protesten der »Gelben Westen« einsetzen

Schwarzpulver vs. Sturmgewehre

Beim 19. Akt der Bewegung der »Gelben Westen« setzte die französische Regierung eine Einheit der Armee ein.

Was muss die in ihrem Alter auch demonstrieren? So oder ähnlich lautete offenbar der Gedanke von Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron, als er am Montag die schweren Verletzungen der 73jährigen Demonstrantin Geneviève Legay kommentierte. Die Sprecherin von Attac in Nizza erlitt einen Schädelbasisbruch und ihr Zustand galt zunächst als kritisch, nachdem sie am Samstag während einer Demonstration zu Boden gestürzt war. In einer weitläufigen Zone rund um die Innenstadt von Nizza waren an diesem Tag Proteste wie die der »Gelben Westen« verboten.

»Wenn man körperlich gebrechlich ist, wenn man leicht zu Boden stürzen kann, dann begibt man sich nicht in Situationen wie diese, an Orte, wo es verboten ist, zu demonstrieren«, sagte Emmanuel Macron. Er wünsche Legay »Genesung, aber auch größere Weisheit«. Ihr Anwalt konterte: »Man kritisiert nicht jemanden auf seinem Krankenbett.«

Nicht nur in Nizza agierte die französische Staatsmacht am Wochenende repressiv. In Paris wurden mehrere Dutzend Demonstrierende festgenommen. Darunter war auch ein Mann, der vor einem Kneipenwirt in der Vorstadt Massy-Palaiseau geprahlt hatte, er werde einen größeren Schwarzpulverknaller für diesen Tag vorbereiten – in seiner Wohnung wurden 500 Gramm des Explosivstoffs aufgefunden, er soll jedoch nicht einsatzbereit gewesen sein. Vorläufig festgenommen wurden auch zwei Personen, die lediglich die Forderung nach einem »RIC« auf dem T-Shirt spazieren führten – einer durch Bürgerbegehren angestrengten Volksabstimmung (référendum d’initiative citoyenne), wie sie inzwischen von Teilen der Gelb­westen-Bewegung als eine Art Patentrezept gegen alle möglichen gesellschaftlichen Übel gehandelt und gefordert wird. Es setzte eine Geldbuße in Höhe von 135 Euro. Das ist die neue Pauschalstrafe für illegales Demonstrieren nach den jüngsten Gesetzesänderungen, vormals waren es 38 Euro.

Erhebliches Aufsehen und einen heftigen dreitägigen politischen Streit rief die Ankündigung der Regierung hervor, eine Einheit der französischen Armee werde im Rahmen der Demonstrationen zum Objektschutz eingesetzt, und zwar ein Teil der Opération Sentinelle (Operation Wachposten), die 2015 wegen der jihadistischen Attentate gebildet worden war und aus insgesamt rund 10 000 Soldaten besteht. Verteidigungsministerin Florence Parly sagte zwar beschwichtigend, die Soldaten würden nicht direkt gegen Demonstrierende gestellt werden, doch gleichzeitig verlautbarte der kommandierende General Bruno Leray öffentlich, die betreffenden Soldaten könnten im Bedarfsfall von ihren Schusswaffen Gebrauch machen.

Vorausgegangen waren am Wochenende zuvor Sachschäden in Höhe von 30 Millionen Euro – der Gesamtschaden bei den Protesten der Gelbwesten beträgt nunmehr nach Regierungsangaben 200 Millionen Euro – aus Anlass des »Akts XVIII«, des 18. Protestsamstags in Folge, der unter dem Motto »Insurrection« stand. Dabei wurde unter anderem das Pariser Nobelrestaurant Le Fouquet’s demoliert, das erst in mehreren Monaten wieder öffnen wird. Zudem war ein Gebäude in Brand gesetzt worden, in dessen Erdgeschoss sich eine Bankfiliale befindet. Das Feuer griff auch auf andere Stockwerke über, elf Personen wurden leicht verletzt, eine Mutter und ihr Baby wurden mit knapper Not aus dem Gebäude evakuiert.
Im Rahmen der heterogenen Protestbewegung kooperieren der Wutbürgerflügel der Gelben Westen und Gruppen von Autonomen und Insurrektionalisten faktisch miteinander. Nicht wenige der Letztgenannten glauben, die Revolution sei nah, da eine größere Anzahl von Gelben Westen sich an der Randale beteiligt oder sie unter Sympathiebekundungen zulässt. Die zornigen Gelben Westen betrachten dies hingegen als mehr oder minder notwendige Verhandlungstaktik, eine Art bargaining by riot.

Daneben gibt es die eher linken und gewerkschaftsnahen Kräfte innerhalb der Gelbwesten-Bewegung, die nach wie vor Woche für Woche rund 50 000 Menschen in Frankreich auf die Straßen bringen – erheblich weniger als bei von Gewerkschaften initiierten Sozialprotesten 1995, 2003 oder 2010, aber mit deutlich größerer Bereitschaft zur Sachbeschädigung. Linke Gewerkschafter unterstützen die Protestbewegung vor allem in westfranzösischen Städten wie Rennes, Nantes und Toulouse. In Toulouse rief der Gewerkschaftsbund CGT am Samstag öffentlich dazu auf, ein über den Rathausplatz verhängtes allgemeines Demonstrationsverbot zu brechen. Landesweit mobilisierten die CGT, Solidaires und weitere Gewerkschaften am Dienstag voriger Woche erneut, wie zuletzt am 5. Februar, rund 300 000 Menschen zu Demonstrationen, unter die sich auch Gelbe Westen mischten.

Allerdings gehen diese Demonstration bislang kaum mit relevanten Streikaktivitäten einher. Eine Ausnahme ist das Bildungswesen, in dem es vergangene Woche wegen angekündigter Mittelkürzungen Arbeitsniederlegungen gab.