Brasiliens Präsident bedient sich bewährter rechter Demagogie

Bolsonaro und die Nazis

Mit dem Faschismus kokettieren und ­politische Gegner Nazis nennen, ist gängige Rhetorik des Rechtspopulismus.
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Weltweit berichteten Zeitungen brav, wenn auch oft in leicht irritiertem Tonfall, vom Besuch des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro in der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem am Dienstag voriger Woche. Sie berichten vor allem natürlich über seine Antwort auf die Frage, ob er seinem Außenminister Ernesto Araújo zustimme, bei den Nazis habe es sich um Linke gehandelt – was er bejahte. Wirklich bemerkenswert an dieser Aussage ist, dass sie alles andere als überraschend kommt.

Antifaschisten, mit Nazis gleichzusetzen, hat sich in der rechtspopulistischen Rhetorik etabliert.

Selbstverständlich handelt es sich dabei um Geschichtsrevisionismus auf einem derart niedrigen Niveau, dass man darüber nicht ernsthaft diskutieren möchte. Aber die Demagogie hat Methode, und ihrer bedient sich nicht allein Bolsonaro. »Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: ›Ich bin der Faschismus‹. Nein, er wird sagen: ›Ich bin der Antifaschismus‹.« Dieser Ausspruch wird dem italienischen Schriftsteller Ignazio Silone zugeschrieben, er erfreut sich schon seit einiger Zeit großer Beliebtheit unter anderem bei Internet-Trollen, die der AfD und Pegida nahestehen. Linke, insbesondere antifaschistische, mit Nazis gleichzusetzen, ist ein nicht mehr wegzudenkendes Element der rechtspopulistischen Rhetorik.

Auch wenn die extreme Rechte an anderer Stelle gern einmal mit der geistigen Nähe zum historischen Faschismus oder im Falle Bolsonaros mit Formen diktatorischer Herrschaft kokettiert und das damit einhergehende bad boy-Image in vollen Zügen genießt: Dass das Nazi-Etikett abschreckend wirken kann, hat sie schon lange ­kapiert. Eine pfiffige Methode, die Bezeichnung loszuwerden, ist es, sie dem politischen Gegner anzuheften. Peinlicherweise waren es in Deutschland ausgerechnet Linke, die dafür die Vorarbeit leisteten. Es waren in den dreißiger Jahren Mitglieder von SPD und KPD, die sich gegenseitig als »Links-« oder »rot lackierte Faschisten« beziehungsweise »Sozialfaschisten« bezeichneten, während die Nazis von Jahr zu Jahr stärker wurden.

In den dreißiger Jahren beschimpften sich SPD und KPD gegenseitig als Faschisten, während die Nazis von Jahr zu Jahr stärker wurden.

Den Rechten wiederum hilft dieser rhetorische Kniff einerseits, präventiv den Vorwurf, selbst mehr oder weniger heimliche Nazis zu sein, möglichst weit von sich zu weisen, und eröffnet anderseits die Möglichkeit, eigentlich längst geklärte Sachverhalte wieder zur Debatte zu stellen. Etwa über die Elemente und Ursprünge des Faschismus. Daraus entsteht eine mehr oder weniger bewusst eingesetzte Strategie, den politischen Gegner in die Enge zu treiben. Zugleich bastelt man für die eigene Gefolgschaft weiter an einem in sich hermetisch geschlossenen Weltbild im handlichen Taschen­format – einer alternativen Wahrheit, die sich als Widerstandsakt zur herrschenden, in Wissenschaft und informierten Teilen der Gesellschaft weitgehend unstrittigen geriert. Man könnte hinzufügen: »vermeintlich herrschenden«, denn sie erweist sich gegenwärtig oft als wesentlich fragiler und weniger wirkmächtig, als sie es eigentlich sein sollte. Klimawandel, Erderwärmung? Wissenschaftler warnen seit Jahrzehnten vor den Gefahren. Auch die Gefahren, die von der Zerstörung der tropischen Regenwälder aus­gehen, sind allgemein bekannt. Doch die Wahl von Donald Trump und Bolsonaro, zwei bekennenden Leugnern des Klimawandels, hat dies nicht verhindert. Was ist das überhaupt, Wahrheit? Ob es so etwas überhaupt geben kann, daran hatten zuletzt besonders sich als links fühlende postmoderne Intellektuelle ihre tiefen, grundsätzlichen Bedenken angemeldet. Dass Wahrheit vor allem das ist, was man, einmal an der Macht, durchsetzen kann, gehörte hingegen unter den historischen Nazis und Faschisten zu den Grund­gewissheiten. Gerade in dieser Hinsicht erweisen sich die Populisten der Gegenwart als deren echte geistige Nachfahren.