Warum »Lügenpresse« ein genuin rechter Begriff ist

Unwissenheit ist Stärke

Im Gezeter über die liberale »Lügenpresse« offenbart sich die Sehnsucht nach diktierten Wahrheiten.
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Keine Frage, die Presse lügt. Immer wieder und zu allen Zeiten. Ganz besonders jedoch, wenn sie von diktatorischen Machthabern an die Leine genommen wird – sei es mittels offizieller Zensur (was man heutzutage gern vermeidet) oder mittels Verstaatlichung von Medien, Strafandrohung für bestimmte Positionen und Attentaten auf Journalisten. Um ein solches Kontrollsystem in einem Staat zu installieren, der bis dahin ein größeres Maß an Pressefreiheit zuließ, muss jedoch erst mal eine vermittelbare Begründung konstruiert werden. Zum Beispiel die, dass die Presse lüge, weil sie von irgendwelchen geheimen Netzwerken gesteuert sei. Diese Konstruktion wird nicht nur von Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdoğan verwendet. Auch Donald Trump stößt mit seinen fake news-Tweets ins gleiche Horn, wenngleich es derzeit eher unwahrscheinlich ist, dass die US-amerikanische Pressefreiheit daran zugrunde geht.

Zwar lässt sich die Verwendung des Begriffs auch bei Linken zahlreich nachweisen, aber als Topos ist »Lügenpresse« genuin rechts. Fälschlicherweise wird der Begriff gern dem Nazi-Propagandaminister Joseph Goebbels zugeschrieben. Tatsächlich ist das Wort bereits im 19. Jahrhundert aufgekommen, schon damals gerne garniert mit dem Adjektiv »jüdisch«. Das zielte auf die im Zuge der gescheiterten Revolution von 1848/1849 erstarkte bürgerlich-liberale Presse mit ihrem Hang, Behauptungen mittels Kritik und Debatte zu hinterfragen. Den Nationalkonservativen erschien das derart volksfern, dass sie dahinter gezielte Versuche der Destabilisierung durch im Geheimen wirkende jüdisch-antideutsche Kreise witterten. Eine Idee, die in den nach neuer nationaler Größe gierenden Teilen der Bevölkerung rasch Verbreitung fand.

Genau diese antiaufklärerische Konstruktion hat dem Begriff auch zu seiner Virulenz im AfD-Pegida-Milieu verholfen. Nur vorgeblich kritisiert er mangelnde Möglichkeiten, eigene (rechte) Ansichten zu publizieren. Das ist ja in der on- wie offline wachsenden Zahl rechter Medien problemlos möglich. Schon gar nicht zielt der Vorwurf auf interessenpolitische Wahrheitsretuschen, wie sie in der Presse tatsächlich tagtäglich stattfinden. Wann immer in den etablierten Medien etwas steht, was der extremen Rechten ins Weltbild passt (etwa Berichte über Straftaten von Flüchtlingen), wird das gern aufgegriffen. Man will eben nur nicht parallel noch eine andere Perspektive geboten bekommen, geschweige denn abwägende Diskussionen. Frei nach dem Motto der Partei des Großen Bruders aus George Orwells dystopischem Roman »1984«: »Unwissenheit ist Stärke«.

Die Presse soll nicht freier, sondern unfreier werden. Die Widersprüchlichkeit des Daseins soll endlich aufhören. Die unumstößliche, einzig gültige Wahrheit soll zurückkehren – per Zensur durch­gesetzt von einem rechten Volkstribun, auf den sich die Sehnsucht nach ethnisch-kollektiver Größe projizieren lässt. Deshalb hat der russische Präsident Putin so viel Fans unter rechtsgesinnten deutschen Kleinbürgern, und deshalb steigt auch die Zahl tätlicher Angriffe auf Journalisten im Umfeld völkischer Demonstrationen kontinuierlich an. Ganz so, als würden ohne die entsprechende Berichterstattung der Klimawandel, homosexuelle Paare oder Transgenderpersonen aufhören zu existieren.

»Das Volk«, mit dem sich die Empörer identifizieren, soll nicht umfassend informiert werden, schon gar nicht will es sich eine ­eigene Meinung bilden müssen. Ein Medium, das es nicht in seinen Ressentiments und seiner halluzinierten kollektiven Identität bestätigt, ist daher ein »Volksfeind« und muss bekämpft werden. Eine völkische Presse hingegen darf nicht nur, sie soll lügen.