»Clan-Kriminalität«

Sippe und Sippenhaft

Seite 2 – Tradition und Religion statt Individualismus

»Clan-Kriminalität« – über das Thema wird zurzeit nicht nur in Nordrhein-Westfalen diskutiert. In der vergangenen Woche wurde Ibrahim Miri aus Bremen in den Libanon abgeschoben, die SZ und andere Medien bezeichnen ihn als den »führenden Kopf des Miri-Clans«. Er sei ausreisepflichtig gewesen, sagte die Bremer Innenbehörde. Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) sprach von »einem erfolgreichen Schlag gegen die Clan-Kriminalität«. Essen gilt neben Berlin und Bremen als ein Zentrum des Problems. Aus dem Umfeld sogenannter Clans kamen dem nordrhein-westfälischen Innenminis­terium zufolge zwischen 2016 und 2018 2.439 Tatverdächtige.

»Multikulturalismus ist eine reaktionäre Ideologie, die davon ausgeht, dass alle Kulturen irgendwie okay sind.«

Auch bundesweit sorgen kriminelle Clan-Mitglieder aus Essen für Schlag­zeilen. Der aus dem Libanon stammende Berliner Publizist Ralph Ghadban ver­öffentlichte im vergangenen Jahr das Buch »Arabische Clans: Die unterschätzte Gefahr«. Danach wurde er nach eigenen Angaben aus dem Kreis der ­Essener Familien-Union so stark bedroht, dass er zurzeit unter Polizeischutz steht. Eine Anfrage der Jungle World hierzu ließ die Familien-Union unbeantwortet.

Nach Ghadbans Urteil war die Zusammenarbeit der Stadt Essen mit Mitgliedern der betreffenden Familien immer ein Fehler. »Am Anfang«, sagt er im Gespräch mit der Jungle World, »war es naiv. Am Ende war es Dummheit.« Der Glaube, man könne die Probleme mit den Clans lösen, indem man sie umarme, sei ein Ausdruck des Multikulturalismus. »Multikulturalismus ist eine reaktionäre Ideologie, die davon ausgeht, dass alle Kulturen irgendwie okay sind. Soziale Verhältnisse, Klassen, die eigentlichen Ideen der Linken, spielen da keine Rolle mehr. Es geht nur noch um irgendwelche Identitäten. Diese Ideologie stellt überkommene Traditionen und Religionen über den Individualismus.« Ghadban hält Aussteigerprogramme für eine Möglichkeit, Menschen von den Clans zu lösen.

Etwa jedes dritte Mitglied solcher Großfamilien sei kriminell, sagt ein Angehöriger einer der bekannten ­Familien in Essen, der anonym bleiben möchte, dieser Zeitung. Niemand ­werde gezwungen, kriminell zu werden, aber es sei für viele eine vergleichsweise einfache Art, an Geld heranzukommen. Die kriminellen ­Zweige der Clans seien autoritär strukturiert, hätten auch Kontakte zur ­Hizbollah, weil die nun einmal ein Machtfaktor im Libanon sei, an dem man, wenn man Geschäfte machen ­wolle, nicht vorbeikomme, so der Gesprächspartner.