»Clan-Kriminalität«

Sippe und Sippenhaft

Seite 3 – Einzelne Menschen, keine Sippen

Die Stadt Essen beendete die Zusammenarbeit mit der Familien-Union ­bereits Ende des vergangenen Jahres, verkündete dies jedoch erst nach den Drohungen gegen Ghadban im Frühjahr. »Der Verein Familien-Union e. V. spielt aus Sicht der Stadt Essen bei der Integration keine relevante Rolle mehr«, sagt Oberbürgermeister Kufen auf ­Anfrage der Jungle World. »Seit Amtsantritt verfolgen Stadt und Polizei ­gemeinsam die Null-Toleranz-Strategie gegen beispielsweise Clan-Kriminalität.« Er fügt hinzu: »Ich will ausdrücklich nicht alle Menschen über einen Kamm scheren.«

In der Politik herrscht keine Einigkeit über den Umgang mit kriminellen Clan-Mitgliedern. Selbst der Begriff des Clans ist unscharf.

Einigkeit über den Umgang mit kriminellen Clanmitgliedern herrscht bei ­Essens Parteien nicht. Denn selbst der Begriff des Clans ist unscharf. »Der Begriff ›Clan‹ ist in der Debatte relativ neu. Was genau ein Clan ist, ist noch nicht bestimmt, weswegen ich diesen Begriff auch nicht verwende«, sagt etwa Jules el-Khatib vom Landesvorstand der Linkspartei. »Auch wirkt er diskriminierend gegenüber den Menschen, die als ›Clanmitglieder‹ bezeichnet werden und den ­negativen Folgen dessen ausgesetzt sind.«

Auch Thomas Fischer, ein ehemaliger Richter am Bundesgerichtshof, erörterte kürzlich auf Spiegel Online die Probleme des Begriffs. Er wies darauf hin, dass es »bei der Kriminalität um einzelne Menschen« gehe, »nicht um ­Sippen«. Damit eine ganze Familie als solche die Bezeichnung »kriminell« verdiene, müsse »mehr geschehen als Straftaten einzelner und (rechtmäßige) Zeugnisverweigerungen von Angehörigen«. Der Begriff »kriminell« sei, wenn er »nicht für eine Tat, sondern für Menschen verwendet« werde, schon »für sich problematisch«.

Über die Herkunft der Opfer führt das nordrhein-westfälische Innen­ministerium zwar keine Statistik. Im Fall der Stadt Essen gibt es aber ­Anhaltspunkte: Medienberichte legten nahe, dass »die häufigsten Betroffenen ebenfalls libanesisch-kurdische Essenerinnen und Essener sind«, so ­el-Khatib.

Der Essener Integrationspolitiker Martin Schlauch (SPD) kommt zu ­einem ähnlichen Schluss: »Die direkte Bedrohung für Essener Bürgerinnen und Bürger schätzen wir als eher gering ein, da die Clans meist unter sich bleiben.« Allerdings bestehe für Neuzugewanderte insbesondere aus dem ara­bischen Raum »ein besonderes Gefährdungspotential«. Syrische Flüchtlinge seien von den Clans sehr schnell als Zielgruppe entdeckt und für Botengänge, Tabakschmuggel, Drogenhandel und sonstige kriminelle Handlungen ge­ködert worden. »Zudem gibt es immer wieder überteuerte Mietmodelle in durch Geldwäsche erworbenen Immobilien, mit denen Flüchtlinge abgezockt werden.«