Machtkampf in Albanien

Wer braucht schon Parteien

Seite 3 – Auf Gras gebaut

»Drei Parteien, eine Oligarchie«

Bild:
Peter Korig

Fünf Tage vor dem Wahltermin Ende Juni treffen sich rund 100 vor allem junge Menschen am Denkmal für den unbekannten Partisanen im Zentrum Tiranas. Viele der Teilnehmenden begrüßen sich mit der auf PD, PS und LSI bezogenen Parole »Tre parti – një oligarki!« (»Drei Parteien – eine Oligarchie!«) Die Mitglieder von OP haben sich angesichts der angespannten Lage entschieden, ebenfalls auf die Straße zu gehen. Allerdings nicht unter der Parole der Opposition, »Rama ik!« (»Rama geh!«), sondern mit dem Slogan »Lufta e bandave partiake nuk është lufta jonë!« (»Der Kampf der Partei-Banden ist nicht unser Kampf!«) Es sind vor allem Rednerinnen, die bei der Kundgebung auftreten. Die Studierendenproteste haben viele Jugendliche politisiert, die Mitgliederzahl der OP hat sich verdreifacht. Und es waren vor allem junge Frauen, die im Winter gegen Studiengebühren, Korruption an den Hochschulen und schlechte Zukunftsaussichten auf die Straße gingen. »Einer der Gründe dafür ist, dass sie von hohen Studiengebühren und den dadurch bedingten Problemen, ein Studium abzuschließen oder überhaupt zu studieren, besonders betroffen sind. Denn für viele junge Frauen bedeutet das immer noch, früh heiraten zu müssen und auf ein selbstbestimmtes Leben zu verzichten«, sagt Arlind Qori, eines der ältesten Mitglieder von OP.

»Der Staat vermeidet es, Aktivisten in Haft zu nehmen. Stattdessen will man mit relativ hohen Bußgeldern vor allem junge Menschen.

In den Redebeiträgen wird kritisiert, dass alle politischen Parteien in den vergangenen drei Jahrzehnten dazu beigetragen hätten, dass ein großer Teil der albanischen Bevölkerung in Armut lebe und unter erbärmlichen Umständen arbeiten müsse, während andernorts große Reichtümer angehäuft worden seien. Symptomatisch für die schlechten Arbeitsbedingungen ist der Fall von Ardit Gjoklaj. Der 17jährige arbeitete auf einer städtischen Mülldeponie und kam 2016 wegen ungenügender Arbeitsschutzmaßnahmen ums Leben. Auf einem der Transparente auf der Kundgebung wird Erion Veliaj, der Bürgermeister Tiranas, für den Tod des Jugendlichen verantwortlich gemacht.

Veliaj hat eine für osteuropäische Verhältnisse nicht unübliche Karriere hinter sich. Nach einem Studium in den USA und Großbritannien gründete er 1993 die Bürgerbewegung »Mjaft!« (Genug!), die sich gegen Korruption und Rückständigkeit und für eine moderne Zivilgesellschaft einsetzte. Der Erfolg von Mjaft eröffnete ihm 2011 den Weg zu einer Parteikarriere bei den damals noch oppositionellen Sozialisten. Nach der Wahl Ramas zum Ministerpräsidenten im Jahr 2013 wurde Veliaj Minister für Jugend und Soziales, 2015 wechselte er in das Amt des Bürgermeisters von Tirana. Heutzutage gilt er als »Kronprinz« Ramas.

Die Kritik am Bürgermeister macht die anwesenden Polizisten nervös. Während der Kundgebung fordern sie immer vehementer, wenn auch erfolglos, das Transparent abzunehmen. Am Ende wird ein Bußgeld wegen Verstoßes gegen Umweltschutzvorschriften verhängt: Die Bindfäden, mit denen das Transparent an den Bäumen befestigt war, hätten diese beschädigt. Wie absurd diese Entscheidung ist, wird bei einem Blick in die Umgebung noch deutlicher. Allerorten schießen in Tirana Hochhäuser in die Höhe, werden ohne Rücksicht auf die Umwelt oder die Gesundheit der Stadtbevölkerung Grünflächen beseitigt. Aktivisten, die sich kritisch mit der Stadtentwicklung Tiranas beschäftigen, behaupten, bei diesen Bauprojekten würden in großem Stil die Gewinne aus der Cannabisproduktion gewaschen. Sicher ist, dass die Bauherren ausgesprochen enge Verbindungen zu Bürgermeister und Regierung pflegen.

Einige Tage später sind weitere Bußgelder fällig. Mitglieder von OP wurden von der Polizei dabei erwischt, wie sie halb Tirana zuplakatieren. Auf den Plakaten macht die Gruppe Bürgermeister Veliaj nicht nur für den Tod Gjoklajs verantwortlich, sondern kritisiert auch die Erhöhung der Tarife für Busse und Wasserversorgung sowie die Zerstörung von Grünflächen und öffentlichem Raum in der Stadt. Innerhalb eines Tages hat die Polizei fast alle Plakate wieder entfernt. Die Gruppe muss insgesamt 800 Euro Strafe zahlen, was zwei bis drei durchschnittlichen Monatslöhnen entspricht. Das ist für die Organisation, die sich vor allem aus Spenden ihrer Mitglieder finanziert, eine enorme finanzielle Herausforderung. »So sieht gerade die Repression gegen die Bewegung aus«, so Qori. »Der Staat vermeidet es, Aktivistinnen und Aktivisten in Haft zu nehmen und so Anlässe für heroische Gesten und Solidarisierungseffekte zu schaffen. Stattdessen will man mit relativ hohen Bußgeldern vor allem junge Menschen einschüchtern.«