Die AfD und ehemalige Bürgerrechtler verbreiten Wendemythen

Kampf um die Deutungshoheit

Zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten, zu ihrer Vorgeschichte und ihren Folgen gibt es unterschiedlichste Darstellungen. Die AfD und einstige Bürgerrechtler versuchen derzeit offensiv, ihre jeweiligen Versionen zu verbreiten.

»Vollende die Wende!« und »Werde Bürgerrechtler!« stand auf den AfD-Wahlplakaten in Brandenburg. In ihrer Kampagne zur Landtagswahl am 1. September suggerierte die Partei, die Deutschen lebten unter einer Meinungsdiktatur, die bestimmte Positionen unterdrücke. Diese Rhetorik ist keineswegs neu. Die einstige DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld, die zunächst für Bündnis 90 / Die Grünen und von 1996 bis 2005 für die CDU im Bundestag saß, kritisiert die Politik von Bundeskanzlerin Angela Merkel seit Jahren als »links­radikal« und schwadroniert von der Bundesrepublik als einer »DDR 2.0«, in der »Andersdenkende« durch Propaganda und political correctness mundtot gemacht würden.

Das Gerede von einer notwendigen völkischen »Wende« hat in der AfD Tradition. Björn Höcke spricht gern von einer »Wendezeit«, in der sich Deutschland befinde und in der es darauf ankomme, den »Furor teutonicus« gegen die »entarteten Altparteien« und ihre »Kanzlerdiktatorin« zu entfachen. Dafür brauche es einen »neuen Mythos«.

Dieser von der AfD gepflegte Mythos der unvollendeten Wende gibt sich kritisch gegen die DDR, während er zugleich Ostnostalgie bedient und den Ostdeutschen bescheinigt, die »besseren Deutschen« mit einem »gesunden Volksempfinden« zu sein. Einer Umfrage der Märkischen Allgemeinen zufolge haben 38 Prozent der AfD-Wählerinnen und -Wähler das Gefühl, den Menschen sei es in der DDR vor der »Wende« besser gegangen. Unter den Wählerinnen und Wählern der Linkspartei sind es nur 17 Prozent, bei denen der CDU vier Prozent. Der AfD ist es mit dieser Mischung aus Ostalgie und Aufbruchsstimmung gelungen, der Linkspartei den Rang als »ostdeutsche Kümmererpartei« abzulaufen. Dass Spitzenkandidaten wie Höcke und Andreas Kalbitz extreme Rechte aus den alten Bundesländern sind, scheint ihre Wählerschaft nicht zu stören.

Entschiedener Widerspruch gegen die AfD-Wahlkampagne kam von manchen ehemaligen DDR-Bürgerrechtlerinnen und -Bürgerrechtlern. In ihrem Aufruf mit dem Titel »Nicht mit uns: Gegen den Missbrauch der Friedlichen Revolution 1989 im Wahlkampf« kritisierten sie die Geschichtsklitterung der AfD. Was sie der Partei entgegenhielten, war ein Lobgesang auf die Bundesrepublik: »Mit der Wiedervereinigung erfüllten sich die Ziele der Revolution: Demokratie, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, offene Grenzen, ein geeintes Europa und Wahrung der Menschenrechte.«