Lana Del Reys neues Album »Norman Fucking Rockwell«

Lana Del fucking Rey

Lana Del Rey schließt auf ihrem neuen Album mit Männern wie Kanye West ab und huldigt den Musikerkolleginnen Cat Power und Billie Eilish.

Biff Bam Boom Outline – er sieht so aus, wie er heißt, der Comic-Font auf dem Albumcover der neuen Platte von Lana Del Rey. Es erinnert an jedes x-beliebige »Ihr-Foto-als-Pop-Art-Leinwand«-Angebot von Online-Druckereien und Fotostudios in Shopping Malls, mit deren Hilfe man sich selbst oder gleich die ganze Familie in ein Kunstwerk von Roy Lichtenstein verwandeln lassen kann. Den Comic-Stil vom Plattencover der Single von Salt ’n’ Pepas »Let’s Talk About Sex!« aus dem Jahr 1991 gibt’s mittlerweile als Vorlage in quasi jeder Handyfoto-App.

Zurück zum Cover von Lana Del Rey, auf dem man neben Del Rey beim Segeltörn mit einem männlichen Begleiter den Titel der Platte und den Namen der Sängerin bloß als Initialen abgebildet sieht – wie so große, gewichtige Akronyme amerikanischer Institutionen wie NFL, JFK odr eben der USA selbst stehen sie da, LDR (Lana Del Rey) und in einer Sprechblase plus Ausrufezeichen NFR (»Norman Fucking Rockwell«). Diese Akronyme scheinen eine Verkürzung der Bedeutung, für die solche Lettern einst standen, ebenso aufzugreifen wie den Gestus zeitgenössischer Cut-up-Poesie des Internet: ROTFL, LOL, WTF. Da ist definitiv viel von dem Konsonanten »F« mit dabei, wie der kultige »Parental Advisory«-Sticker warnt, der so amerikanisch ist wie ein zensierter (weiblicher) Nippel auf Facebook.

Für gewöhnlich prangt der »Parental Advisory«-Sticker auf den Platten von Rappern. Kanye West ist ein ganz besonderer Vertreter dieses Genres, mit einem ganz besonderen Verhältnis zu den Vereinigten Staaten. Lana Del Rey sang einst auf seiner Hochzeit in Versailles, als er in die all american family der Kardashians einheiratete, das Lieblingslied seiner Frau KKW (Kim Kardashian West), »Young & Beautiful«. Hollywood kommt für die USA noch am nächsten an das ran, was woanders die Königshäuser sind, und in diesem Sinne gibt’s auch einen Thronfolger als Covermodel von »Norman Fucking Rockwell«, nämlich den Enkel von Jack Nicholson, der lustigerweise auch noch Duke mit Vornamen heißt und auf dem Bild mit Del Rey vor der Küste Kaliforniens herumschippert. Er verkörpert auf dem Foto einen Typ Indieboy, nicht unähnlich dem Co-Autor und Produzenten des Albums, Jack Antonoff. Niemand aber wäre eine so perfekte Besetzung für ein schickes, wenn auch in diesem Fall gestelltes Paparazzi-Bild à la Kurt & Courtney oder Sid & Nancy wie der Ex von Del Rey, der blasse Rocker Barrie-James O’Neill aus Glasgow mit der ungesunden Gesichtsfarbe, der vielleicht Pate für das Covermotiv gestanden hat.

 

Wenn Lana Del Rey im Titelsong über das »man-child« singt, muss man an die Szene im neuen Film von Quentin Tarantino denken, in der sich der (Achtung, männlich!) lederbejackte Schauspieler Steve McQueen (gespielt von Damian Lewis) auf einer Party in der Playboy Mansion darüber beklagt, dass die von ihm verehrte Sharon Tate leider nur auf kleine Typen stehe, die aussehen wie zwölfjährige Buben, und er daher bei ihr keine Chance häbe. Dazu passt, dass der titelgebende Norman Rockwell, obwohl unglaublich erfolgreich, Zeit seines Lebens damit gehadert hat, kein richtiger Künstler, sondern »nur« ein Illustrator für Zeitschriften und nicht einer von den Alpha-Male-Malern zu sein. Als Kommerzkünstler, um den bis heute von der seriösen Kunstgeschichte ein großer Bogen gemacht wird, prägte er ein idealisiertes Bild von Amerika und der weißen, heterosexuellen Familie.

Akronyme, brennende Hügel und nicht zu vergessen die Flagge der USA – Lana Del Reys Plattencover ist gefundenes Fressen für jeden Semiologen.

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Promo

Plattenproduzent Antonoff steht wiederum wegen seiner Arbeit mit Popstars wie Taylor Swift für einen zeitgenössischen Sound von amerikanischem Pop, und falls er nicht von ähnlichen Zweifeln geplagt ist wie der Titelheld, so teilt er zumindest die obsessive Arbeitsweise mit ihm. Zusammen mit einem anderen Hitfabrikanten, Rick Nowels (Celine Dion, Madonna), schrieb Del Rey für da neue Album die ebenfalls Obsessivität thematisierende Zeile: »We were so obsessed with writing the next best American record.«

Rockwell und seine Bilder Amerikas kann man auch gegen den Strich lesen. Die Rockwell-Versteher waren vor allem Männer, von Tom Wolfe bis Andy Warhol, zu einer Zeit, als der Künstler in seriösen Kreisen im besten Fall für Kitsch stand. In dieser Tradition könnte man vielleicht auch die völlig verrückte Freundschaft ­Kanye Wests zu Donald Trump  sehen, der bekanntlich den Präsidenten »liebt«. Mit Rechten reden? Hold my MAGA Cap!

 

Laura Claridge erwähnt in ihrer Biographie über Rockwell, dass es unter amerikanischen Kunststudenten als nerdiges Distinktionsmerkmal gilt, wenn man Rockwell »kapiert« (to get him). Im Mainstream ist er hingegen eine feste Größe: Seinen großen Einfluss auf ihre Filme betonen zwei prominente Besitzer vieler seiner Werke, George Lucas und Steven Spielberg. Letzterer hatte in seinem Film »Empire of the Sun« zum Beispiel eines der bekanntesten Bilder von Rockwell nachgestellt, nämlich »Freedom from Fear«: Zwei Kinder werden von der Mutter vor dem Schlafengehen zugedeckt, während der Mann als Familienoberhaupt daneben über die Zeremonie wacht. Diese allegorische Darstellung uramerikanischer Werte verdeutlicht den Bezug zum christlich-puritanischen Ursprung des Landes. Dass Kanye West jetzt auch eine eigene Kirche gegründet hat, war wohl auch nur eine Frage der Zeit.

Der Fall einstiger Helden wie West wird in einem der besten Songs auf »Norman Fucking Rockwell«, »The Greatest«, mit der Zeile »Kanye West is blonde and gone« souverän abgehandelt. Der Titel bezieht sich auch auf den gleichnamigen Song sowie das Album der mit Del Rey befreundeten Cat Power von 2006, die sich wiederum auf R. Kelly (»The World’s Greatest«) zu beziehen scheint, einen anderen Gefallenen auf dem Schlachtfeld der Alpha-Maleness. Cat Power, die auch als Vorband bei Del Reys Konzert in Berlin 2018 auftrat, war eine der Vorreiterinnen für die Technik der Sängerin, bekannte Songzeilen als Readymade zu arrangieren. In ihrem Lied »Metal Heart« etwa singt Cat Power eine Zeile aus »Amazing Grace«: »I once was lost / But now I’m found.« Überhaupt bilden weibliche Genealogien bei Lana Del Rey eine Art Hintergrundbeleuchtung, so wie die entfernt im Hintergrund brennenden Hollywood Hills auf dem Cover. The culture is lit. Das Neongrün der Jacke, die sie auf dem Cover trägt, ist dezent, aber man fühlt sich doch an die von ihr geschätzte Sängerin Billie Eilish erinnert, die diese Farbe in einer giftigeren Variante für sich und ihre Haare quasi gepachtet hat.

Auf ihrem Instagram-Account empfahl Lana Del Rey vor kurzem Clarissa Pinkola Estés, eine Jungianische Psychoanalytikerin und Autorin. In ihrem Buch »Die Wolfsfrau« wird der Alpha-Female ein Einzelgängertum nahegelegt, damit ihre wilde Kreativität nicht durch gesellschaftliche Vorstellungen von Geschlechterrollen erstickt werde. Deshalb hört es sich nicht traurig an, wenn Del Rey, die am Anfang ihrer Karriere das Gefühl hatte, wegen ihrer hohen Stimme und ihres Aussehens nicht ernst genommen zu werden, und deshalb mit tieferer Stimme zu singen begann, eine Absage an die große romantische Liebe so lapidar formuliert: »Why wait for the best when I could have you.« Die Frau hat ja auch etwas Besseres zu tun, als einem Traumprinzen nachzulaufen. Und am Ende funktioniert es dann so, wie sie auch die Zusammenarbeit mit Antonoff in einem Interview beschrieb: »Es ist ein bißchen wie eine Romanze, wenn es einfach klappt, ohne dass man danach gesucht hat.«

Lana Del Rey: Norman Fucking Rockwell (Interscope)