Portugal nach der Wahl

Links gewinnt

Nach den Parlamentswahlen in Portugal ist eine Neuauflage der linken Minderheitsregierung wahrscheinlich.
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Sozialdemokraten, die in der Wahlnacht ausgelassen feiern – was anderswo in Europa kaum noch denkbar ist, war am Sonntag in Portugal zu beobachten. Seit 2015 regiert in dem Land Ministerpräsident António Costa von der sozialdemokratischen Sozialistischen Partei (Partido Socialista, PS), unterstützt wird seine Minderheitsregierung von dem Parteienbündnis Linksblock (Bloco de Esquerda, BE) und der Demokratischen Einheitskoalition (Coligação Democrática Unitária, CDU), einer Allianz aus der Kommunistischen Partei (PCP) und den Grünen (Os Verdes).

Am vergangenen Sonntag waren 10,8 Millionen portugiesische Wahlberechtigte dazu aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen. Klare Sieger waren Costa und sein PS. Mit 36,6 Prozent der Stimmen konnte der PS die Zahl seiner Mandate von 86 auf voraussichtlich 106 Sitze in der Assembleia da República, dem Einkammerparlament Portugals, von 86 auf voraussichtlich 106 erhöhen, erreichte allerdings nicht die absolute Mehrheit; dafür wären mindestens 116 von 230 Sitzen nötig gewesen. Die Wahlbeteiligung lag bei 54,5 Prozent, rund drei Prozentpunkte niedriger als 2015.

Während der Schuldenkrise ab 2010 hatte Portugal von der sogenannten Troika aus EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds Kredite in Höhe von 78 Milliarden Euro bekommen und sich im Gegenzug zu strenger Haushaltsdisziplin verpflichtet. Die linke Regierung hielt sich wie die konservative Vorgängerregierung daran. Costa, ehemals Bürgermeister von ­Lissabon, ist es trotz der Austeritätspolitik jedoch gelungen, die Sozial­ausgaben anzuheben, etwa Pensionen sowie Pflege- und Arbeitslosengelder. Zudem nahm sie Steuererhöhungen und Gehaltskürzungen im Öffentlichen Dienst teilweise zurück und erhöhte den Mindestlohn. Dafür blieb sie im Namen der Haushaltsdisziplin in manchen Punkten hart, lehnte etwa im Frühjahr die Forderungen streikender Lehrerinnen und Lehrer nach Gehalts­erhöhungen ab (Jungle World 21/2019).

Costa versprach noch in der Wahlnacht, »eine stabile Regierung zu bilden«. Eine Koalitionsregierung schloss er von vorneherein aus, wahrscheinlich ist – wie bisher – eine Übereinkunft mit punktuellen Partnerschaften. ­Costa kann wohl weiterhin auf die Unterstützung des Linksblocks bauen, der seine 19 Mandate hielt; zudem auf die CDU, die auf zwölf Mandate kam (fünf weniger als 2015) sowie auf die Tier- und Umweltschutzpartei Personen-Tiere-Natur (Pessoas-Animais-Natureza, PAN), die künftig vier Mandate statt bislang eines hat.

 

»Es ist erfreulich, dass der PS keine absolute Mehrheit erreicht hat. Das ist gut für den Kurs des Landes«, sagt João Barato in der Wahlnacht zur Jungle World. Er ist als freischaffender Fotograf unter anderem für die vom PS ­regierte Gemeinde Campolide (Lissabon) tätig und bezeichnet sich als politisch links. »Die meisten Portugiesen wollen nicht zu viel Macht konzentriert in ­einer Partei, dazu zähle ich auch mich.« Barato hofft daher auf eine Neuauf­lage der linken Minderheitsregierung, gestützt von BE und CDU.

Kritiker dieser Regierung nannten sie in ihren ersten Tagen 2015 geringonça, frei übersetzt »etwas mehr schlecht als recht Zusammengeschustertes«. Doch die Linke hatte es zur Abwechslung ­geschafft, alte Differenzen zu überwinden, um 2015 geeint die vorherige konservative Minderheitsregierung von ­Pedro Passos Coelho (Partido Social Democrata, PSD) ­abzulösen. Obwohl Angst vor einer zweiten Euro-­Krise in Europa und in Portugal geschürt wurde, hielt die linke Minderheitsregierung die ganze Legislaturperiode. Costa sagte in seiner Siegesrede am Sonntag scherzhaft: »Den Portugiesen gefällt die gerinsche Niederlage« erlitten.

Die liberal-konservative Partei PSD mit dem Spitzenkandidaten Rui Rio, ­einem Ökonomen und ehemaligen Bürgermeister von Porto, blieb weit hinter ihren Erwartungen zurück und kam nur auf 27,9 Prozent der Stimmen (77 Mandate, 12 weniger als 2015), ihr schlechtestes Ergebnis bei Parlamentswahlen seit 1983. 2015 war der PSD im Wahlbündnis Vorwärts Portugal (Portugal à Frente, PàF) mit dem rechtskonservativen Demokratischen und Sozialen Zentrum – Volkspartei (Centro Democrático e Social – Partido Popular, CDS-PP) angetreten; PàF kam damals auf insgesamt 107 Sitze. Der CDS-PP ­erhielt am Sonntag nur noch 4,25 Prozent der Stimmen (fünf Mandate, 2015 waren es noch 18), die Parteivorsitzende Assunção Cristas trat deswegen noch vor dem Feststehen des Endergebnisses zurück.

 

Rechtspopulistische Parteien hatten in Portugal bislang keinen Erfolg, doch dieses Mal gelang es der neuen rechtsextremen Partei Chega (Es reicht) mit 1,3 Prozent der Stimmen, einen Abgeordneten, den Parteivorsitzenden André Ventura, ins Parlament zu entsenden. Unter dem Jubel seiner Mitstreiter behauptete er, »eine demokratische Partei« zu führen, es sei »nicht an der Zeit für Alarmismus«. Chega betreibt eine nationalistische Politik und verwendet eine gegen Migranten gerichtete Rhetorik. Zuletzt wetterte Ventura gegen die Unterstützung von Roma und Sinti, gegen die gleichgeschlechtliche Ehe und gegen Aufenthaltsbewilligungen für Immigranten und Flüchtlinge. Man wolle sich mit der spanischen Partei Vox koordinieren, hieß es. Diese war bei den Wahlen im April als erste rechtsextreme Partei seit dem Ende des Faschismus ins spanische Parlament eingezogen.

Die tiefe Wirtschaftskrise ist überwunden, ein Großteil der Schulden bei der Troika wurde vorzeitig abbezahlt, die Arbeitslosigkeit liegt auf einem Tiefststand (6,7 Prozent). Investitionen aus dem Ausland, Tourismus- und Gründerboom sorgen für ein ansehnliches Wirtschaftswachstum. 2018 hatte Portugal ein Haushaltsdefizit von 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukt. Optimismus dominiert, wohl auch deshalb konnte der Rechtspopulismus bislang kaum Fuß fassen. Neonazis und Nostalgiker der von António de Oliveira Salazar geprägten Diktatur, die Portugal bis zur Nelkenrevolution 1974 regierte, haben nur sehr wenige Anhänger. Migration ist in Portugal eigentlich kein Wahlkampfthema. Für Auseinandersetzungen sorgten vielmehr die Forderungen der Beamten und Lehrkräfte nach mehr Gehalt, auch Krankenpfleger und Ärzte streikten. Vielen Menschen, insbesondere in den touristischen Zentren Lissabon und Porto, bereiten zudem die steigenden Mieten Sorgen. Des Weiteren beschäftigen Umweltthemen, wie der Klimawandel, Waldbrände und Wasserschutz sowie der geplante Lithium-Tagebau auf dem Gebiet des Dorfs Morgade – wo man zum Wahlboykott aufrief –, viele Portugiesinnen und Portugiesen weitaus mehr als das Thema Einwanderung.

Portugal ist seit langem ein Emigra­tionsland, nicht nur seine ehemaligen Kolonien wie Brasilien, Angola und Mosambik lockten viele. Derzeit haben über 1,5 Millionen Portugiesen ihren Lebensmittelpunkt im Ausland. Während der Wirtschaftskrise vor rund zehn Jahren verließen viele Portugiesen das Land. Vor allem junge, gut ausgebildete Leute gingen damals oft nach Deutschland, Großbritannien oder Frankreich. Nun zieht es viele wegen der positiven Entwicklung wieder zurück nach Portugal. Die Regierung initiierte mit dem Unternehmerverband und Universitäten ein »Rückkehrprogramm«, das Steuernachlässe, Förderungen und Arbeitsvermittlung insbesondere in den Bereichen Forschung, Entwicklung und Technologie vorsieht. Das Lohnniveau in Portugal ist nämlich weiterhin deutlich niedriger als in vielen anderen europäischen Ländern.