Der intellektuelle Rechtsextremismus

Die Einflüsterer

Die AfD muss als Teil eines intellektuellen Netzwerks begriffen werden, das seit zwei Jahrzehnten an einem autoritären Umsturz arbeitet. Der offensive Gebrauch von Nazi­jargon ist kein Tritt ins Fettnäpfchen, sondern hat Strategie.

»Warum ist die AfD im Osten so erfolgreich?« So überschrieb Zeit Online Ende August, kurz vor den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg, ­einen Text, der Leserinnen und Leser dazu aufrief, die Frage zu beantworten, in »welcher Vergangenheit« man nach den Ursachen für die AfD-Erfolge suchen solle. In dem Artikel werden die beiden bekanntesten Erklärungen vorweggeschickt: Entweder seien die Sympathien für die AfD auf die Sozialisation eines Großteils der Wählerinnen und Wähler in der DDR zurückzuführen. Oder es sei der Unmut wegen der wirtschaftlichen Benachteiligung der ostdeutschen Bevölkerung im Zuge der sogenannten Wiedervereinigung gewesen, der nun zu einer Art Protestwahl führe.

Sozialwissenschaftliche Untersuchungen, etwa die »Mitte-Studien« der Friedrich-Ebert-Stiftung, zeigen allerdings, dass die Verbreitung manifest rechtsextremer Weltbilder in der deutschen Bevölkerung während der vergangenen 20 Jahren zunächst rückläufig war und mittlerweile auf einem ­relativ niedrigen Niveau verharrt. Deswegen kommt, wer die hohen Wahl­ergebnisse erklären will, nicht umhin, sich auch mit der Taktik auseinander­zusetzen, mit der die Partei und das sie umgebende rechtsintellektuelle Netzwerk latente rechtsextreme Einstellungen in der Bevölkerung aktivieren.

Die AfD steht seit ihrer Gründung unter dem Einfluss Rechtsintellektueller, die sich eher im Hintergrund betätigen, während die Partei versucht, in den Parlamenten ihre Positionen zu propagieren, unterstützt von aktionistischen Bewegungen wie Pegida und den Identitären. Hinzu kommen Studentenverbindungen, insbesondere aus dem Dachverband der Deutschen ­Burschenschaft, die man als kulturelles Milieu dieses Netzwerks bezeichnen kann. Insbesondere durch die autoritäre Erziehung und das Lebensbundprinzip können die Studentenverbindungen Nachwuchs liefern sowie Veranstaltungsräume und Gelder zur Verfügung stellen.

 

Die Entwicklung der Gesellschaft nach rechts, die sich in den Wahlerfolgen der AfD ausdrückt, ist nur zu verstehen, wenn man sich das Netzwerk anschaut, das seit zwei Jahrzehnten daran arbeitet, die Saat für einen autoritären Umsturz auszubringen, und sich nun direkt in oder im Umfeld der Partei organisiert hat. Zentral ist das von Götz Kubitschek gegründete Institut für Staats­politik (IfS) in Schnellroda, an das der Verlag Antaios und die Zeitschrift ­Sezession angegliedert sind. Bis 2014 arbeitete das Umfeld des Instituts beim »jungkonservativen Hegemonieprojekt«, wie es der Rechtsextremismusforscher Helmut Kellershohn nennt, eng mit der Jungen Freiheit (JF) und ihrem Chefredakteur Dieter Stein zusammen. In dem Netzwerk diente die Wochenzeitung dazu, die Bildung eines gesellschaftlichen Milieus zu fördern, das die eigenen Positionen durchsetzen und in die Parlamente tragen sollte. Das IfS hingegen fungierte als »Denkfabrik« zur Schulung von Funktionären, die entscheidende Stellen in Kultur, Gesellschaft und Politik besetzen sollen.

Wegen eines Streits über den Umgang mit der AfD, der sich nicht zuletzt an den abgelehnten Mitgliedsanträgen Kubitscheks und dessen Frau Ellen ­Kositza entzündete, wurde die enge Zusammenarbeit mit der Partei 2015 unterbrochen. Im Zuge der Rechtsentwicklung innerhalb der AfD näherten sich die jeweiligen Protagonisten aber schon bald wieder an. So kündigte Kubitschek bereits auf einer Wahlparty der Partei in Sachsen-Anhalt im Jahr 2016 eine enge Zusammenarbeit zwischen der Frak­tion und seinem Institut an.

Eine enge personelle und strategische Verbindung des IfS besteht auch zur Identitären Bewegung (IB). Der Sozialwissenschaftler Jan Schedler bezeichnete die beiden Organisationen samt Umfeld als »Bewegungsakteure«. So halfen zahlreiche Personen aus dem Dunstkreis des IfS zum Beispiel dabei, das Kampagnenprojekt »Ein Prozent für unser Land« zu gründen, das die IB bei ihren öffentlichkeitswirksamen Aktionen unterstützt. Die »Bewegungs­akteure« und das »jungkonservative Hegemonieprojekt« bilden den Kern einer rechtsextremen Bewegung, die oft als »Neue Rechte« bezeichnet wird – was letztlich verharmlosend ist.

 

Über die direkte Zusammenarbeit hinaus, versucht die Strömung durch Etablierung eines »Binnenpluralismus« (Kubitschek) eine Brücke zwischen dem bürgerlich-konservativen und dem neonazistischen Lager zu schlagen. Das geschieht insbesondere auf Ver­anstaltungen wie den IfS-Akademien oder der Buchmesse »Zwischentag«. Dort treffen Personen wie die ehemaligen CDU-Politiker Henry Nitzsche oder Martin Hohmann, der mittlerweile für die AfD im Bundestag sitzt, mit NPD-Politikern wie beispielsweise Thor von Waldstein zusammen. Der Binnenpluralismus ist Teil der metapolitischen Grundausrichtung, mit deren Hilfe der Kern des intellektuellen Rechtsextremismus versucht, seinen Einfluss­bereich auf andere rechte ­Strömungen auszudehnen und autoritär-antidemokratische Positionen ­gesellschaftsfähig zu machen. Auch wenn diese Strategie als »metapolitisch« bezeichnet wird, diente sie schon immer einem durch und durch politischen Ziel, nämlich auf verschiedenen Ebenen an der Verwirklichung dessen zu arbeiten, was oft – ebenfalls verharmlosend – »Konservative Revolution« genannt wird.

Das vorrangige Ziel der Rechtsintellektuellen ist es, Einfluss auf gesellschaftliche Debatten zu nehmen und die Einstellungen und Wertvorstell­ungen zunächst des Führungspersonals im eigenen Milieu (inklusive der AfD) und langfristig in der gesamten Bevölkerung zu verändern. Die Rechtsintellektuellen agieren im Hintergrund der AfD-Realpolitik, was der Verharmlosung ihrer Positionen für die Öffentlichkeit zuträglich ist. Sie konzentrieren sich auf langfristig meinungsbildende Themen wie die Geschichtspolitik oder das Staatsverständnis der Strömung. Die Selbstbeschreibung mit ­Begriffen wie »Konservative Revolution« und »Neue Rechte« ist genauso Teil einer kalkulierten Strategie wie die zahlreichen öffentlichkeitswirksam ­inszenierten Skandale von AfD-Politikern, die sich nationalsozialistischer Rhetorik bedienen. Kubitschek beschrieb diese Strategie in der Sezession als Wechselspiel aus Provokation und »Selbstverharmlosung«.

Der offensive Gebrauch von Nazi­jargon erscheint im Kontext dieser Strategie nicht mehr als Tritt ins Fettnäpfchen, sondern muss als geplante Provokation bewertet werden. Durch das regelmäßige Vorstoßen in den ­Bereich des Unsagbaren soll die daraus folgende Diskussion zu einem Grenzfall der Meinungsfreiheit stilisiert werden, um zukünftig einen besseren Stand zu haben. Auch wenn anfangs ein Dementi oder eine Entschuldigung notwendig ist, erscheint das Gesagte nach mehrmaligem Wiederholen als alltäglich – insbesondere dann, wenn die Vorstöße nicht isoliert erfolgen, sondern Politiker aus etablierten Parteien nachziehen. Im Rahmen der Provokation soll eventueller Widerwillen bei den Zuhörenden abgeschwächt werden, indem die eigenen Positionen als harmlos und minoritär dargestellt werden. Die jüngsten Wahlerfolge der AfD zeigen, dass sie mit dieser Strategie bislang durchaus erfolgreich ist.