Geflüchtete in Griechenland

Elend auf den Inseln

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Griechenland fehlt, trotz von der EU gezahlter Millionenbeträge, weiterhin die notwendige Infrastruktur, um die Lager zu verwalten und die Asylgesuche zu bearbeiten. Die Situation in den sogenannten Hotspots auf den östägäischen Inseln, die den Namen Flüchtlingsunterkünfte kaum verdienen, verschlechtert sich deshalb seit geraumer Zeit. Das Lager Moria auf Lesbos war ursprünglich als temporäre Unterkunft für maximal 3 000 Flüchtlinge gedacht, inzwischen beherbergt es 13 000, die größtenteils in Campingzelten in einem nahegelegenen Olivenhain leben, von stinkenden Müllbergen umgeben sind und sich äußerst spärliche sanitäre Einrichtungen teilen müssen.

Die Verhältnisse spotten jeder Beschreibung. Im September trat deshalb der Leiter des Lagers, Yannis Balbakakis, zurück. Constantinos Moutzouris, als Gouverneur der nordägäischen Inseln auch für Lesbos zuständig, entschuldigte sich öffentlich für die dort herrschenden Zustände. Wie angespannt und letztlich unkontrollierbar die Situation ist, zeigte sich, als es im Lager Ende September zu einem Brand kam, bei dem eine Frau und ihr Neugeborenes qualvoll starben. Die Feuerwehr traf erst mit Verspätung ein und sah sich erbosten Bewohnern gegenüber, die auch noch mit Sicherheitskräften aneinandergerieten. Wäre der Wind an diesem Tag etwas stärker gewesen, sagt die Mitarbeiterin einer Hilfsorganisation, hätte das halbe Lager Feuer fangen können.

Dass auf dem Boden der EU Flüchtlingseinrichtungen existieren, die Alessandro Barberio von der NGO »Ärzte ohne Grenzen« schon 2018 als »Hölle auf Erden« bezeichnete, ist nicht nur Ausdruck einer völlig gescheiterten EU-Flüchtlingspolitik. Denn offiziell handelt es sich bei den Hotspots nur um temporäre Einrichtungen. Würde man auf den Inseln menschenwürdige und für längerfristigen Aufenthalt geeignete Flüchtlingsunterkünfte errichten, die diesen Namen auch verdienten, stieße die Regierung wohl auf heftigen lokalen Widerstand. Zurzeit sind im Umland von Mytilini, der Hauptstadt von Lesbos, die vor 2015 etwa 27 000 Einwohner zählte, bereits über 15 000 Flüchtlinge untergebracht. Noch kam es in Lesbos, anders als auf den Nachbarinseln, weder zu größeren Demonstrationen gegen die Flüchtlinge noch zu anderen Zwischenfällen.

Aber die Stimmung, so berichten Einwohner, schlage langsam um und der Unmut wachse, je mehr Neuankünfte jede Woche registriert würden. Man wolle, heißt es, nicht weiter eine Geisel Erdoğans und der EU sein und hier, am äußersten Ende Europas, die Last verfehlter Politik tragen.
Die Lage kann jederzeit eskalieren, auch wenn die Regierung nach dem Brand in Moria einige Tausend Flüchtlinge, zumeist Frauen und unbegleitete Kinder, aufs Festland evakuiert hat. Denn Nacht für Nacht kommen neue Boote an, und sollte es Erdoğans außenpolitischen Zielen dienlich sein, könnten es noch wesentlich mehr werden. Trotz aller Warnungen sind weder Griechenland noch die EU darauf vorbereitet – ähnlich wie schon 2015. Den Preis dafür werden erneut die Flüchtlinge in den Hotspots und die Bewohner der Inseln zahlen, deren Pech es ist, nur wenige Kilometer von der tür­kischen Küste entfernt zu leben.