Der Film »Parasite« von Bong Joon-ho

Kunstblut und Klassenkampf

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Ähnlich wie bereits Bong Joon-hos Verfilmung der Graphic Novel »Snowpiercer« von 2013 zieht »Parasite« alle Register der jeweiligen Genres, ohne darüber den Blick für das große Ganze zu verlieren. Jeder Einfall ordnet sich der klaren und doch stellenweise raffiniert doppel­bödigen Struktur des Films unter. Musste sich die Gruppe Aufständischer in »Snowpiercer« noch horizontal vom verwahrlosten hinteren Ende eines Zuges an die luxuriöse Spitze vorkämpfen, nutzt »Parasite« eine eingängigere vertikale Logik von oben und unten. Im Bild repräsentiert wird sie immer wieder durch Treppen – sowohl zwischen den unterschiedlich bewerteten Stockwerken eines Hauses als auch zwischen den Stadtteilen der Villen- und Slumbewohner. Der Erfolg im Kampf um den sozialen Status hängt davon ab, ob es gelingt, in die begehrten Lagen vorzurücken. Für Familie Kim heißt das konkret, sich im Haus der Parks einzunisten.

Das ist alles andere als einfach. Zum einen tun sich immer wieder Fährnisse auf, wo sie nicht unbedingt zu erwarten gewesen wären, etwa wenn sich auf einmal weitere Konkurrenten im Kampf um die begehrten Plätze einfinden. Zum anderen sind die Figuren vielschichtig genug angelegt, um das Zusammenschnurren der Fabel auf die einfache Gegenüberstellung von guten ­Armen und bösen Reichen zu vermeiden. So klar die Charaktere durch ihre Stellung in der Hierarchie und die bereits erlittenen Erniedrigungen geprägt sind, so sehr unterscheiden sie sich im Einzelnen in ­ihren Handlungen und Haltungen. Da auch die arbeitslose Unterklasse über Bildung, Wissen und kulturelle Codes verfügt, scheint der Aufstieg oft zum Greifen nah. Dennoch gibt es die feinen Unterschiede, die von den Oberklasseangehörigen verteidigt werden. Den Geruch nach feuchtem Keller und billigem Waschmittel werden die Kims bei aller Findigkeit nicht so einfach los. 

Selbst das Wetter erleben Reiche und Arme ganz unterschiedlich. ­Regen kann ein romantisches Ambiente beim Sex auf dem Sofa im Hause Park schaffen oder eine Katastrophe darstellen, wenn Wohnkeller und niedrig gelegene Stadtviertel überflutet werden. Die Frage, die sich immer wieder stellt, lautet denn auch, ob irgendjemand einen Plan hat, um der nächsten, immer noch schlimmeren Misere und dem mit ihr verbundenen neuerlichen Absturz zu entkommen. Manchmal allerdings ist es, wie das Oberhaupt der Familie Kim am Tiefpunkt feststellt, wohl besser, keinen Plan zu haben, da sich dann wenigstens keine weiteren Enttäuschungen einstellen können. Doch wenn die ständigen Demütigungen irgendwann unerträglich werden, bleibt nur noch eins: Man lässt es auf die vollständige Eskalation ankommen, auf die sowieso alles von Beginn an hindrängt. In ihrem Verlauf kann selbst ein Pfirsich zur tödlichen Waffe werden – und selbstverständlich fließt dann eine Menge sehr rotes Kunstblut.

Parasite (Südkorea 2019). Regie: Bong Joon-ho. Darsteller: Song Kang-ho, Lee Sun-kyun, Jo Yeo-jeong. Kinostart: 17. Oktober