Labour-Partei und der Brexit

Erst die Macht, dann die Entscheidung

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Die staatliche Gesundheitsversorgung soll mehr Geld erhalten, durchsetzen will Labour zudem die kostenfreie Altenpflege und Bereitstellung von Medikamenten, die Abschaffung von Abschiebegefängnissen, die Einführung des Wahlrechts für in Großbritannien lebende Ausländer und Maßnahmen zur Förderung der psychischen Gesundheit.

Vergleichsweise dezent ist Labour in der Steuerpolitik. Der höchste Einkommenssteuersatz, fällig ab 123 000 Pfund pro Jahr, soll 50 Prozent, die Unternehmensteuer 26 Prozent betragen. Das wirft die Frage auf, wie das ambitionierte Sozialprogramm finanziert werden soll, zumal während einer nach einem EU-Austritt wohl unabhängig von den Modalitäten zu erwartenden Rezession.

Anhänger eines »linken Brexit«, der eine Befreiung vom »Neoliberalismus« der EU bringen soll, üben offenbar nach wie vor erheblichen Einfluss auf die Labour-Führung aus. Zudem will die Partei ihre EU-feindlichen Wähler nicht verprellen, verzichtet damit aber auch auf die Chance, neue Wählerschichten zu gewinnen. »Remainer« finden nur bei den Liberaldemokraten und der relativ kleinen Green Party eine parlamentarische Vertretung.

Obwohl die Parteibasis inzwischen mehrheitlich gegen den EU-Austritt ist und von Labour verlangt, sich klar ­dagegen auszusprechen, gibt Corbyn nicht nach. Er verspricht allerdings, das Ergebnis eines zweiten Referendums zu respektieren: »Als Premierminister werde ich umsetzen, was ­immer die Menschen entscheiden.« Dass der Parteivorsitzende von einem »intelligenten Arrangement« spricht, das er auszuhandeln gedenke, deutet jedoch darauf hin, dass die Partei dann auch für dieses Arrangement werben wird. Sofern es nicht schon vorher zustandekommt: Nach Johnsons Nieder­lage am Samstag forderte Labour zwar erneut Neuwahlen, verhandelte aber auch mit gemäßigten Tories und der nordirischen DUP, um eine Mehrheit für einen »weichen Brexit« zusammenzubekommen, bei dem Großbritannien in einer Zollunion mit der EU verbliebe. 

Sollte eine Labour-Regierung gänzlich unabhängig von der EU Außenpolitik betreiben, wäre diese gegen Israel gerichtet. Die Mehrheit der Parteimitglieder hält einen Boykott des Landes im Zuge einer neuen »ethischen Außenpolitik« von Labour für notwendig. Damit ist hauptsächlich ein Waffenembargo gegen Israel gemeint, aber auch ein Boykott von Produkten aus den Siedlungsgebieten und die Ablehnung von Handelsverträgen mit Is­rael, die »die Rechte der Palästinenser nicht anerkennen«. Generell soll Labour wegen der »besonderen Verantwortung Großbritanniens als ehema­lige Kolonialmacht« stärker im israelisch-palästinensischen Konflikt intervenieren.

Die sozialpolitische Erneuerung der Partei geht einher mit der Übernahme höchst problematischer außenpolitischer Ziele und dem Unwillen, sich in der derzeit drängendsten politische Frage zu entscheiden. Zumindest Letzteres ist auch wahltaktisch von Bedeutung. Falls Labour die nächsten Wahlen gewinnen sollte, bleibt zudem fraglich, ob die Partei ihr Programm durchsetzen kann.