Tunesien nach der Präsidentschaftswahl

Robocop sucht Verbündete

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Saïeds Wählerschaft rekrutiert sich vor allem aus Jugendlichen, die von dem wirtshaftlichen Desaster, das den nunmehr acht Jahre währenden Demokratisierungsprozess begleitet, enttäuscht sind. Die Arbeitslosenrate ist hoch, viele Arbeitsplätze sind prekär und die Inflationsrate lag zuletzt bei etwa sieben Prozent, was die Kaufkraft der Unterklasse enorm schwächt. Nach Angaben des Meinungsforschungsins­tituts Sigma Conseil stimmten im zweiten Wahlgang etwa 90 Prozent der Wählerinnen und Wähler zwischen 18 und 25 Jahren für Saïed. Die Wahlbeteiligung lag bei 55 Prozent, im ersten Durchgang waren es etwa 45 Prozent gewesen. Bei den Parlamentswahlen am 6. Oktober hatten lediglich etwa 41 Prozent der Wahlberechtigten abgestimmt, was das in Tunesien weit verbreitete Misstrauen gegenüber dem etablierten Parteiensystem spiegelte.

Saïed fordert eine weitgehende institutionelle »Revolution«, die »die Macht dem Volk« zurückgeben soll. Die politisch-administrative Struktur soll reorganisiert werden, von unten nach oben. Wahlen sollen zunächst auf lokaler Ebene stattfinden, die lokal Gewählten sollen sodann an Regional-, und schließlich Nationalwahlen teilnehmen. Wahllisten sollen dabei keine Rolle spielen. »Vorab muss eine Vereinbarung über das getroffen werden, was der Repräsentant, ist er gewählt, ausführen soll.

Arbeitsgruppen sollen organisiert werden, um ein Projekt auszuarbeiten, das es dem lokalen Rat erlaubt, einen ökonomischen, sozialen, kulturellen Plan für die lokale Entwicklung vorzubereiten«, zitierte jüngst die Website nawaat.org Saïeds Vorschlag, den er in einem 2018 veröffentlichten Interview vorgestellt hatte. Den Lokalräten kann das Vertrauen entzogen werden. Die aus deren Repräsentanten zusammengesetzten Regionalräte sollen die auf lokaler Ebene entworfenen Projekte aufeinander abstimmen und zudem ihre Repräsentanten für die Legislative auf nationaler Ebene bestimmen. Auf dieser Ebene sind Misstrauensanträge vorgesehen, beim ersten soll die Regierung zurücktreten, beim zweiten während desselben Mandats der Präsident. »So wird die Legitimität des Volks (légitimité populaire), die sich in der parlamentarischen Versammlung verkörpert, stärker als die des Präsidenten«, sagte Saïed in besagtem Interview.