NSU-Tribunal

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Deshalb liegt der Schwerpunkt des NSU-Tribunals in Chemnitz und Zwickau nicht auf den Geschichten der Täter und ihrer Unterstützer, sondern auf der Geschichte und den Lebensumständen von Migrantinnen und Mi­granten in Ostdeutschland. Wie bei den vorherigen NSU-Tribunalen 2017 in Köln und 2018 in Mannheim soll es auch in Chemnitz und Zwickau um verschiedene Aspekte gehen. Im Aufruf des Tribunals heißt es: »Angeklagt werden die Akteurinnen und Akteure des NSU-Komplexes mitsamt ihrer institutionellen Einbettung. Beklagt werden die Opfer rassistischer Gewalt und das entstandene Leid. Eingeklagt wird das Prinzip einer offenen, durch Migration entstandenen Gesellschaft der Vielen.«

»Gerade dort, wo das Täternetzwerk nach wie vor noch aktiv ist, ist es wichtig, dass migrantische Selbstbehauptung gestärkt wird«, sagt Danilo Starosta vom Kulturbüro Sachsen im Gespräch mit der Jungle World. Im Sommer plante er in Chemnitz gemeinsam mit einer arabischen Gruppe und vielen weiteren Partnern ein öffentliches Zuckerfest. In sozialen Medien ergoss sich deshalb ein rassistischer Shitstorm über die Veranstalter. Extreme Rechte um Martin Kohlmann, den Schatzmeister der Wählervereinigung Pro Chemnitz, riefen dazu auf, neben dem Zuckerfest ein Schwein zu grillen. Schließlich feierten fast 1 000 Menschen, darunter zahlreiche Familien mit Kindern, rund um den Karl-Marx-Kopf in der Chemnitzer Innenstadt ein friedliches Zuckerfest. Für wenige Stunden sorgten sie für ein völlig anderes Bild der Stadt Chemnitz. Die Polizei hielt ein Dutzend extrem rechter Gegendemonstranten auf Abstand.

Im Zuge des Tribunals sollen auch Mitglieder der arabischen Gruppe, die das Zuckerfest in Chemnitz veranstaltete, über ihre Erfahrungen in der Stadt berichten und Veränderungen einfordern. Im Spätsommer 2018 geriet Chemnitz bundesweit wegen zahlreicher extrem rechter Demons­trationen und Ausschreitungen in die Schlagzeilen. Die Zahl der rassistisch und antisemitisch motivierten Überfälle stieg. Betroffen waren davon ­unter anderem von Migranten betriebene Restaurants. Bei Ermittlungen verdächtigte die Polizei nach Auskunft der Betroffenen auch die Betreiber und führte bei ihnen Finanzprüfungen durch. »Diese Ermittlungen zeigen Kontinuitätslinien im Denken der Polizei, die an die Verdächtigungen der Ermittler im Umfeld der Familien der NSU-Opfer erinnern«, sagt Hannah Zimmermann. Rassismus als Tatmotiv werde nach wie vor nicht ernst genug genommen.

Zimmermanns Initiative »Offener Prozess« setzt sich gemeinsam mit anderen Organisationen unter anderem für die Einrichtung eines Erinnerungs- und Dokumentationszentrums zur Aufarbeitung des NSU-Komplexes und des rechtsextremen Terrors in Zwickau ein. In einem solchen Dokumentationszentrum sollen Informa­tionen über den NSU archiviert und wissenschaftlich bearbeitet werden. Zudem könnte es ein Ort für Ausstellungen und politische Bildungsarbeit zum Thema werden. An Ideen für die Ausgestaltung eines solchen Zentrums mangelt es nicht. Was derzeit noch fehlt, sind der politische Wille und die finanzielle Ausstattung. Das NSU-Tri­bunal in Chemnitz und Zwickau könnte jedoch ein Schritt zur Verwirklichung eines solchen Vorhabens sein.