Die Türkei konnte ihre Pläne für Nordsyrien bislang nicht durchsetzen

Der Jihadistenversteher hat die Aufsicht

Seite 2

Pläne der US-Regierung, die Türkei zum Aufseher über entflohene Jihadisten zu machen, sind deshalb absurd. Der türkische Einmarsch in Nordsyrien wird in der Türkei von einem Propagandaspektakel und der Einschüchterung der Opposition begleitet. Allein wegen kritischer Stellungnahmen in sozialen Medien werden Menschen täglich festgenommen; im Namen des Leiters der Behörde für Presse und Information, Fahrettin Altun, per Whatsapp »Operationsbriefings« an inlän­dische und ausländische Medien verschickt. Die Militäroperation wird dort als Befreiung der von »kurdischen Terroristen« besetzen syrischen Gebiete dargestellt, ungeachtet der Tatsache, dass die SDF-Truppen sich vor allem aus der lokalen nordsyrischen Bevölkerung rekrutieren und Verbün­dete der USA im Kampf gegen den IS waren.

Die humanitäre Lage verschlech­tert sich in Nordsyrien Tag für Tag, da die Feuerpause immer wieder von den Kriegsparteien gebrochen wird. Etwa 200.000 Menschen wurden bislang zur Flucht gezwungen. Erdoğans »Umsiedlungsprojekt« bleibt bislang jedoch in der Planungsphase stecken. Die Militäroperation sollte die SDF »zermalmen« und die vor allem aus Kurden und Christen bestehende Bevölkerung aus der Region vertreiben. In der Grenzregion wollte die Türkei eine 444 Kilometer lange und 30 bis 40 Kilo­meter breite »Sicherheitszone« schaffen. Dort plante Erdoğan, zwei Millionen syrische Flüchtlinge aus der Türkei anzusiedeln. Das Vorhaben sollte zugleich der angeschlagenen türkische Wirtschaft mit dem Bau von zehn neuen Städten und 140 Dörfern helfen. Die Kosten von schätzungsweise 25 Milliarden Euro sollte vor allem die »internationale Gemeinschaft« tragen; andernfalls, so drohte der Präsident, werde er Millionen Flüchtlinge nach Europa schicken.

Doch unter dem Druck der USA und vor allem Russlands musste Erdoğan seinen Vormarsch bremsen. Im Schutz der wenn auch brüchigen Waffenruhe zogen sich die SDF ins Landesinnere zurück. Die türkische Armee und ihre Verbündeten sind auf der syrischen Seite der Grenze zurzeit in einem etwa 120 Kilometer langen und zehn Kilometer breiten Streifen zwischen den Städten Ras al-Ain und Tell Abyad präsent. Diese Zone umfasst mit rund 1 200 Quadratkilometern weniger als ein Zehntel des Gebiets, das ursprünglich besetzt werden sollte. Dort zwei Millionen Flüchtlinge anzusiedeln, ist unmöglich. 

Die Situation ist vor allem für die Zivilbevölkerung katastrophal. Bei dem für den 13. November geplanten Staatsbesuch des türkischen Präsidenten in den USA soll es um Einzelheiten der »Sicherheitszone« gehen. Es bleibt abzuwarten, ob dort angemessen auf die verzwickte Situation reagiert wird.