Portugal und Spanien streiten sich über die Durchflussmenge des Flusses Tejo

Nach der Dürre kam die Sintflut

Portugal streitet mit Spanien über die Durchflussmenge des Flusses Tejo, der in Aragon entspringt. Gewinne für spanische Stromproduzenten scheinen wichtiger zu sein als regelmäßige Wasserversorgung für die dürregeplagte Landwirtschaft und die Bewahrung des Flussökosystems.
Reportage Von

»Der Tejo ist unser Lebensquell, dank ihm haben wir Fischfang, Tourismus, Landwirtschaft und Trinkwasser«, sagt Paolo Constantino. Der 49jährige Ökonom gehört der portugiesischen Umweltschutzgruppe »Protejo – Movimento Pelo Tejo« (Bewegung für den Tejo) an. »Protejo« ist ein Wortspiel, das einerseits »für den Tejo« bedeuten soll, ­andererseits heißt die Verbform protejo »ich (be)schütze«. 
Die Umweltschützerinnen und -schützer haben dieses Jahr Grund zur Sorge. Denn nach Monaten der Dürre öffnete das Nachbarland Spanien im August und September die Schleusen des Tejo, die Wassermassen sorgten für enorme Schäden an Fauna und Flora entlang des Flusslaufs: Bäume wurden entwurzelt, Strauchland wurde überflutet, ­Fische verendeten, vor allem in den Zuflüssen des Tejo, die fast gänzlich ­austrockneten.

Der Tejo (spanisch Tajo) ist der längste Fluss der iberischen Halbinsel, ins­gesamt ist er 1 007 Kilometer lang. Von seiner Quelle in der zentralspanischen Provinz Teruel aus quert er die Iberische Meseta, das kastilische Hochland, passiert nahe der spanischen Hauptstadt Madrid die malerischen Mäander von Toledo, die bereits El Greco auf Leinwand bannte, markiert später knapp 47 Kilometer lang die Grenze zwischen Spanien und Portugal und fließt die restlichen 145 Kilometer durch Portugal, bis er bei Lissabon in den Atlantik mündet. Er ist nicht nur für die Landwirtschaft, die Trinkwasserversorgung in den ariden Regionen der Extremadura und Zentralportugals sowie den Tourismus elementar, wie auch Constantino betont, sondern auch für die Stromerzeugung in Wassserkraftwerken.

In der Konvention von Albufeira einigten sich Spanien und Portugal 1998 auf jährliche Durchflussmengen. Das Abkommen wurde 2008 erneuert. Es ­regelt die Durchflussmengen aller grenzüberschreitenden Flüsse, neben dem Tejo auch der Flüsse Miño, Limia, Douro (Duero) – einer der wichtigsten – und Guadiana im Süden. Es wurde festgelegt, dass 2 700 Kubikhekto­meter (hm³) Flusswasser des Tejo jährlich die Landesgrenze nach Portugal passieren müssen. Ein Kubikhektometer sind eine Million Kubikmeter beziehunsgweise eine Milliarde Liter Wasser.

Allerdings ist in dem Abkommen nicht festgehalten, auf welche Weise im Verlauf eines hydrologischen Jahres, das jeweils am 30. September endet, diese Wassermengen nach Portugal fließen müssen. Über 37 Prozent der Wassermenge entscheidet die spanische Confederación Hidrológica del Tajo (CHT), die dem Ministerium für Ökologische Transition unterstellt ist, über die restlichen 63 Prozent haben die Stromkonzerne die Handhabe. Pro Trimester müssen von den 37 Prozent zwischen 130 und 350 Kubikhektometer nach Portugal fließen. Die restlichen 63 Prozent könnte Spanien am Ende der hydrologischen Saison auch auf einmal durchlassen, wären die technischen Möglichkeiten bei der Grenztalsperre von Cedillo bei Cáceres in der spanischen Region Extremadura dafür ­gegeben.

 

Leere Speicher

In diesem Jahr flossen ab Oktober sieben Kubikhektometer in der Woche. »Was Spanien macht, ist nicht akzeptabel«, sagte João Matos Fernandes, Portugals Umweltminister von der Sozialistischen Partei (PS), nachdem Spanien im August und September die Schleusen des Tejo geöffnet hatte. »Nicht einmal in Ausnahmedürrejahren kam es zu derart gravierenden Durchflussunterschieden zwischen dem Juli und dem September«, so der Minister im Interview mit der portugiesischen Tageszeitung Público. Binnen nur zwei Wochen flossen 200 Kubikhektometer durch Portugal bis in den Atlantik, ohne dass der portugiesische Stromerzeuger EDP ­reagieren und in seinen Talsperren das Wasser für Landwirte speichern konnte. Zudem hatten die Wassermassen, die auf Monate der Dürre folgten, verheerende Folgen für die Fauna und Flora im Fluss und am Flussufer. Wegen Niedrigwasser in den Speicherseen auf spanischer Seite, das Sauerstoffmangel und Algenwachstum bedingte, waren viele Fische verendet. Die später folgende Flut riss die Ufer ausgetrockneter Flussbetten mit sich. Im September leerte Spanien die grenznahe Talsperre von Cedillo fast gänzlich. Es handelte sich um mehr als ein Drittel der Jahresmenge, und sie floss innerhalb von knapp zwei Monaten.

Kanuausflug auf dem Tejo mit dem Ziel, das ökologische Bewusstsein zu stärken. Im Hintergrund ist die Burg von Almourol auf der gleichnamigen Insel zu sehen, nahe der Gemeinde Praia do Ribatejo.

Bild:
proTEJO – Movimento Pelo Tejo

Portugal hatte seit Februar um mehr Wasser gebeten. Hätte Spanien die ­Wassermenge nicht schließlich freigegeben, wäre eine Sanktionierung durch die Europäische Union die Folge gewesen. Doch so bekam Portugal 440 Kubikhektometer Flusswasser mehr oder weniger auf einmal, 14 Kubik­hektometer am Tag. Dafür ließ man in Spanien auch kleinere Nebenspeicherseen und -flusstäler fast vollends leeren. Dies habe allerdings »katastrophale Folgen für die Ökologie und Wirtschaft in der ärmsten Region Zentralportugals« gehabt, betonte der Umweltminister. Eine Erklärung der spanischen ­Regierung, warum sie so gehandelt habe, erwarte man in Portugal nach wie vor. »Das, was uns zusteht, soll regelmäßig und konstant fließen«, so Fernandes.

 

Ökologische Katastrophe

Damit griff der Umweltminister auch die Forderungen der Umweltschützerinnen und Umweltschützer im Einzugsgebiet des Tejo auf. Im portugiesischen Grenzgebiet bei Portalegre und Castelo Branco macht sich Verzweiflung breit. Seit 40 Jahren habe man »nicht eine derart krasse Situation erlebt«, sagt Constantino von Protejo in Castelo Branco. »Die Auswirkungen auf die Fisch­population und die ufernahe Flora sind irreversibel. Wenn nicht binnen zwei Monaten drastisch gegengesteuert wird und auch das Wetter nicht mitspielt, droht der Region neben der ökologischen Katastrophe eine ökonomische«, so der Ökonom. Derzeit regne es zum Glück, und das relativ stark. Es müsse aber mehrere Monate so durchregnen, so Constantino.

Schützt den Tejo: Paolo Constantino von »Protejo – Movimento Pelo Tejo«.

Bild:
proTEJO – Movimento Pelo Tejo

Er kommt aus der Kleinstadt Vila Nova da Barquinha am Tejo. 2009 habe das Fährschiff, das üblicherweise den Fluss quere, im Sand des Flussbetts festgesteckt, erinnert er sich. Damals habe er beschlossen, aktiv zu werden, und erstmals mit über 40 000 Spanierinnen und Spaniern in Talavera de la Reina gegen die Wasserentnahme im Tajo-Segura-Kanal demonstriert, die für die damalige Lage verantwortlich war. Die 2009 ­gegründete Umweltschutzgruppe Protejo trat seither immer wieder mit Protesten und Kampagnen in Erscheinung. Dazu gehören auch Kanufahrten zur Aufklärung der Bevölkerung.

Von portugiesischer Seite aus speisen die Zuflüsse ­Sever und Pônsul die Cedillo-Talsperre, die ein Volumen von 360 Kubikhektometern hat. Die Flüsse bieten ein desolates Bild: ausgetrockneter, brüchiger Lehm, auf dem Fischer- und Ausflugsboote gestrandet sind. Manche Boote hängen noch angetaut den Hang herunter, der zuvor von Wasser bedeckt war. ­Lediglich ein Rinnsal mäandert in der Mitte der Mondlandschaft.

 

»Wir fordern regelmäßigen Durchlauf, genau gemessen in Kubikmeter pro Sekunde«, sagt Constantino. »Auch eine Umgestaltung des Flussbettes hin zu seinem ökologischen Verlauf, eine Renaturierung, würde es auf Portugals Seite erlauben, mit dem Wasser aus Spanien das Leben von Tieren und Menschen in der Region zu sichern. Damit könnte man die konstante Durchflussmenge verdreifachen«, ist der Ökonom überzeugt. Dass der Wasserdurchlauf des Tejo in den vergangenen zwei Dekaden um etwa 25 Prozent zurückgegangen sei, wie spanische Behörden ihr Vorgehen rechtfertigen, ist Constantino zufolge nicht richtig: »Spanien nutzt das Wasser mit seinen über 50 Talsperren heute anders. Und man leitet es auch weiter über den Tajo-Segura-Kanal zu den Agrargebieten nach Murcia.«

Die erste Großdemonstration 2010 für den Schutz des Tejo (Tajo) in Talavera de la Reina. Mit einer Delegation aus Portugal.

Bild:
proTEJO – Movimento Pelo Tejo

In Spanien ist die Confederación ­Hidrográfica del Tajo für das Wassermanagement des Tejo verantwortlich. Die spanischen Stromerzeuger genießen jedoch große Freiheiten bei der Wassernutzung. Vor allem dem spanischen Stromkonzern Iberdrola wirft Constantino vor, »die Durchflussmengen oft auch an Spitzenstrompreise zu knüpfen, um Strom aus Wasserkraft zu Höchstpreisen zu veräußern, ohne Rücksicht auf Menschen und Natur«. Iberdrola stehe in der Verantwortung, denn der Konzern habe für die Katastrophe gesorgt und werde es wieder tun, so Constantino. »Die Regierung in Madrid hätte das Geschehen abwenden können, ja müssen. Bilateral, etwa über die Zahlung einer Kompensation, und durch einen Dialog. Besser, man spricht über seine Probleme, als dass man den anderen den Schaden überlässt.«

63 Prozent der jährlichen Durchflussmenge habe de facto Iberdrola in der Hand, sagt Constantino. »Das sind 1 700 Kubikhektometer. Wir in Portugal müssen darüber ein Mit­bestimmungsrecht haben.« Doch die Stromkonzerne, die das Wasser für ihre Kraftwerke nutzten, wollten ihre Flexibilität bei der Energieproduktion nicht einbüßen. »Das ist nicht das, was Iberdrola will, und nicht das, was Spaniens Regierung will«, so Constantino.

 

Dürre Daten

Die beiden grenznahen Talsperren von Cedillo und Alcántara – letztere umfasst ein Volumen von fast 3 200 Kubikhektometern – sind im Besitz von Iberdrola. Der Konzern versucht derzeit, sich mit großangelegten Werbekampagnen ein grünes Image zu verpassen. Täglich habe der Konzern im Oktober und November Wasserproben entnommen, sagt Constantino, um den Schadstoffgehalt wegen der Düngemittel in der Landwirtschaft zu überprüfen.

»Der Cedillo-Wasserstand sank in den letzten Septembertagen von 97 auf knapp 27 Prozent der Füllmenge«, sagt Constantino. Luís Correia (PS), der Bürgermeister von Castelo Branco, hat eine These dazu: »Madrid spekulierte darauf, dass die EU wegen der Dürre und Trockenheit eine Ausnahmesituation feststellt. Das hätte Spanien davon abgehalten, das ausstehende Wasser passieren zulassen, trat jedoch nicht ein.« Constantino sagt dazu: »Nicht einmal in Jahren extremer Dürre war die Durchflussmenge so gering wie 2019 bis zur Öffnung der Schleusen. Bei 69 Prozent der durchschnittlichen ­Niederschlagsmenge wie im Ausnahmejahr 2011/2012 wäre die Anwendung der Schutzklausel möglich gewesen, 2018/2019 jedoch nicht.«

Die staatliche Umweltagentur Agência Portuguesa do Ambiente (APA) prüft zurzeit die Durchflussdaten und Niederschlagswerte. Pro­tejo vermutet, dass es dort Ungereimtheiten gibt. »Wir ­können nicht exakt prüfen, wie viel durchge­lassen wird«, sagt Constantino. »Wir haben nur eine Stelle, an der wir messen können, bei der Talsperre Fratel.« Er ist der Ansicht: »Spanien hat das Abkommen von Albufeira nicht eingehalten.« Es halte mit ­seinen Talsperren einfach mehr Wasser zurück. Constantino sieht darin »eine klare Manipulation der Daten«.
Der Klimawandel könnte die Wassermenge des Tejo weiter reduzieren. ­Prognosen gehen von einem Rückgang um 15 Prozent der Wassermenge aus. Doch auch dann wäre eine Durchflussmenge einzuhalten, die die Ökosysteme auf portugiesischer Seite bewahre, ­betont Constantino. Portugals Umweltminister kündigte derweil an, das Abkommen von Albufeira mit der neuen spanischen Regierung, die sich derzeit nach den Wahlen vom 10. November konstituiert, neu zu verhandeln.

Bürgermeister Correia koordiniert sich derweil mit seinem Amtskollegen in Cedillo, Antonio González von der spanischen Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE). Das grenzüberschreitende Naturschutzgebiet, der Inter­nationale Tajo-Naturpark, ein Biosphärenreservat der Unesco, ist für die ­Gemeinden hier das Rückgrat der Lokalökonomie.