Die vertrauliche medizinische Versorgung von Opfern sexueller Gewalt ist in Deutschland noch immer unzureichend

Hilfe nur zu Geschäftszeiten

Es gibt neuerdings eine bundesweite Regelung zur Finanzierung einer vertraulichen Spurensicherung nach einer Vergewaltigung. Die vertrauliche medizinische Akutversorgung von Betroffenen ist aber immer noch lückenhaft.

Seit Anfang des Monats gilt, dass die gerichtsfeste Dokumentation und Spurensicherung nach sexueller Gewalt zur regulären Krankenbehandlung gehört und ohne Anzeige bei der Polizei anonym über die Krankenkassen abgerechnet werden kann. Die Länder müssen innerhalb der nächsten sechs Monate entsprechende Verträge mit den Kassen schließen.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte die Änderung Ende vergangenen Jahres im Rahmen des neuen Masernschutzgesetzes durchgesetzt. Fachverbände wurden in die Diskussionen offensichtlich nicht einbezogen. Sie zeigten sich überrascht und forderten weitgehende Ergänzungen, denn die vertrauliche medizinische Versorgung von Opfern sexueller Gewalt ist in Deutschland immer noch nicht ausreichend. Für viele Betroffene geht es nach einer Vergewaltigung zunächst nicht um die Frage, ob sie die Polizei einschalten wollen. Eine Anzeige hat weitreichende Konsequenzen, die sich nicht in psychisch belastenden Aussagen erschöpfen. Die strafrechtliche Verfolgung des Täters ist nicht immer (sofort) im Interesse der Betroffenen – insbesondere dann nicht, wenn er, wie in den meisten Fällen, dem sozialen Nah­umfeld der Betroffenen zuzurechnen ist. Viele Opfer ringen sich daher, wenn überhaupt, erst Monate oder Jahre später dazu durch, Anzeige zu erstatten. In Ermangelung von Zeuginnen und Zeugen sind in Fällen sexueller Gewalt gesicherte Spuren und die Dokumentation von Verletzungen oftmals die einzigen Beweise, die eine Strafverfolgung möglich machen.

Das kann bedeuten, dass Vergewaltigungsopfer sich eventuell drei Tage lang nicht duschen dürften, wenn sie in Berlin eine vertrauliche Spurensicherung vornehmen lassen wollen.

Daher ist es wichtig, dass Betroffene im Rahmen der Akutversorgung Zugang dazu haben. Das bedeutet auch, dass die Spuren für die Dauer der Verjährungsfristen aufbewahrt werden müssen – im Fall von Vergewaltigung sind das mindestens 20 Jahre. Die Lagerungsdauer ist im Gesetz jedoch nicht geregelt. Genauso wenig inbegriffen in die anonyme Abrechnung sind andere wichtige Leistungen im Rahmen der Akutversorgung, wie zum Beispiel Notfallverhütung, Tests auf sexuell übertragbare Krankheiten und HIV-Postexpositionsprophylaxe. Die »Pille danach« müssen Opfer von Vergewaltigung demnach selbst bezahlen, andere Behandlungen werden im Rahmen der allgemeinen Versorgung abgerechnet und sind daher nicht anonym.
Das kann weitreichende Konsequenzen haben. Zwar ist seit 2017 die Mit­teilungspflicht von Gesundheitsfachkräften an die Krankenkassen in Fällen häuslicher und sexueller Gewalt aus­gesetzt, jedoch führen die Kranken­kas­sen nach Informationen des Deutschen Instituts für Menschenrechte trotzdem Regressprüfungen durch – denn bei ­einem drittverursachten Schaden sind die Krankenkassen des Verursachers verpflichtet, die Kosten zu tragen. Das kann dazu führen, dass die Betroffenen Post von der Krankenkasse erhalten, weil sie Angaben zum Täter machen sollen, oder dass Post an die gewaltausübende Person selbst geht – das kann Betroffene nicht nur zusätzlich belasten, sondern sie auch gefährden. Zudem beinhaltet die neue Regelung keine Finanzierung von Fortbildungen für Ärztinnen und Ärzte sowie von Materialkosten der Spurensicherungskits. In vielen Regionen werden diese momentan aus den schmalen Budgets der Frauenberatungsstellen gezahlt.

Eine Studie zur anonymen Spurensicherung im Raum Köln von 2011 bis 2018 kam zu dem Ergebnis, dass in jedem sechsten Fall Verfahrensprobleme auftraten, wie beispielsweise die Nichtbeachtung von Verpackungs-, Beschriftungs- und Versandkriterien. Das ist nicht zuletzt auf die mangelnde Qualifizierung der Gesundheitsfachkräfte zurückzuführen. Solche Fehler können dazu führen, dass die entsprechenden Beweise in einem Prozess keine Verwendung finden. Auch ist nicht geregelt, wie viele Einrichtungen eine anonyme Spurensicherung anbieten sollen.

In Berlin steht dafür beispielsweise nur die Gewaltschutzambulanz der Charité zur Verfügung, nach vorheriger Terminvereinbarung von Montag bis Freitag zwischen acht und 16 Uhr. Das kann bedeuten, dass Vergewaltigungsopfer sich eventuell drei Tage lang nicht duschen dürften, wenn sie in Berlin eine vertrauliche Spurensicherung vornehmen lassen wollen. Ginge es um die Bedürfnisse der Betroffenen, so müsste die komplette medizinische Versorgung nach sexueller Gewalt kostenfrei und vertraulich mindestens in allen größeren Kliniken durch geschultes Personal möglich sein.