Small Talk mit Sven Schmidt und Toni Meyer zur Lage von Flüchtlingen auf Lesbos

»Eine Katastrophe abwenden«

Etwa 20 000 Geflüchtete leben auf der griechischen Insel Lesbos im Flüchtlingscamp Moria auf engstem Raum und mit unzureichender Versorgung. Der Ausbruch einer Covid-19-Epidemie könnte fatale Folgen haben. Sven Schmidt und Toni Meyer*, zwei Antifaschisten aus Sachsen, befinden sich auf Lesbos. Die Jungle World hat mit ­ihnen über die Situation gesprochen.

Wie muss man sich Moria vorstellen?

Meyer: Es ist unbeschreiblich, was man da sieht. Die krasse Überfüllung des Camps macht sich durch den Gestank, den Müll und die drängenden Menschenmassen sofort bemerkbar. Ein altes Militärlager bildet das Kerncamp. In den Olivenhainen drumherum hat sich der sogenannte Dschungel gebildet, wo die Leute in selbstgebauten Hütten leben. Die Infrastruktur ist katastrophal. Krankheiten wie Krätze, Bronchitis und Asthma sind weitverbreitet, dazu kommen Kriegsverletzungen und Traumata.

Wie gehen die Menschen in Moria mit der Gefahr durch das Coronavirus um?

Meyer: Corona ist ein großes Thema im Camp. Die Behörden haben viel zu spät begonnen, über das Virus aufzuklären. Die Regierung und die EU verkünden zwar, dass sie an einem Notfallplan arbeiten, die örtlichen NGOs sehen das aber kritisch.

Schmidt: Die Bewohnerinnen und Bewohner haben angefangen, sich in sozialen Medien zu informieren. Da gehen viele fake news rum, was Panik befördert. Die Leute im Camp sind beunruhigt ­darüber, was auf sie zukommt. Sie wissen, dass es keine Mittel für Schutz oder Vorsichtsmaßnahmen gibt.

Einfach mal Hände waschen und Abstand zu anderen halten – geht das in dem Camp überhaupt?

Meyer: Solche Schutzmaßnahmen einzuhalten, ist hier unmöglich. Alles ist sehr eng bebaut, man teilt sich mit 20 Leuten einen Container. In den selbstgebauten Hütten im Dschungel sind die Zustände noch wesentlich schlimmer. Die Wasserversorgung ist am Limit, und das schon seit Jahren. Da ist eben mal Hände waschen nicht möglich. Eine Person teilt sich mit 241 anderen eine einzige Dusche und mit 166 eine Toilette.

Was unternehmen die Menschen, um eine Ausbreitung des Virus zu verhindern?

Schmidt: Die Menschen in Moria sind in dieser Situation sich selbst überlassen. Sie versuchen, sich zu organisieren, da gibt es zum Beispiel das »Moria Corona Awareness Team« oder die »White Helmets Moria«. Da werden Plakate und Poster verbreitet, die aufklären sollen. Im Olivenhain sollten eigentlich Schulen entstehen, jetzt wird dort eine improvisierte Quarantänestation aufgebaut. Es ist fraglich, ob diese Maßnahmen angesichts der schlechten hygienischen Zustände überhaupt helfen können. Schon im normalen Alltag gibt es zu wenig medizinisches Personal und im Falle eines Covid-19-Ausbruchs würde sich die Lage wesentlich verschlimmern.

Gab es in Moria bereits Covid-19-Fälle?

Schmidt: Im Camp selbst sind uns keine Fälle bekannt, aber auf der Insel Lesbos gibt es schon mindestens vier. Ein Ausbruch würde auch nicht erkannt werden, da im Camp keine Teste durchgeführt werden. Geflüchtete aus dem Camp haben berichtet, dass sie von der Polizei ignoriert worden seien, als sie den Verdacht einer Infektion geäußert hätten.

Welche Entwicklung ist in dem Camp zu erwarten, wenn die Krankheit dort ausbricht?

Meyer: Aufgrund der mangelnden medizinischen Versorgung und weiten Verbreitung von anderen Krankheiten im Lager wird es schnell Tausende von Infizierten und Hunderte Tote geben. Wo sollen Kranke versorgt werden? Auf der Insel gibt es nur ein Krankenhaus, das ohnehin nur über wenige Intensivbetten und Quarantänezimmer verfügt. Und wie werden die Bewohnerinnen und Bewohner reagieren, wenn die Epidemie im Camp ausbricht und sie trotzdem eingesperrt bleiben? Um eine Katastrophe abzuwenden, muss das Camp geräumt und evakuiert werden.

* Namen von der Redaktion geändert.