Du Pham hat mit Joe Casey von der Band Protomartyr gesprochen.

Tag ohne Ende

Auf dem neuen Album der US-amerikanischen Post-Punk-Band Protomartyr geht es im Wechsel beängstigend, sardonisch und trocken zu.
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Manchmal passiert es einem an einem Sonntagmittag, an dem die ­Vögel zwitschern und man die Nachbarskinder toben hört, dass man ­aller Welt überdrüssig wird. Der helllichte Tag liegt plötzlich in der Dunkelheit. Davon handelt das Lied »Day Without End«, der erste Song des neuen Albums von Protomartyr, der mit Zeilen wie diesen aufwartet: »An empty space / That’s the whole of me / A floating shadow of a hand ­across my heart«. Es geht um Depressionen und um Vorurteile, die mit dieser psychischen Erkrankung einhergehen.

Ist unsere Lebensweise dem Untergang schon so nahe, dass es ein Tag ohne Ende ist? »Die Dunkelheit kann am Tag viel schlimmer sein als in der Nacht.« Joe Casey, Sänger von Protomartyr

Als »dunkle Poesie« bezeichnet Ana da Silva, Mitglied der Post-Punk-Band The Raincoats, das fünfte Studioalbum von Protomartyr in den Liner Notes. »Ultimate Success Today« – so dessen Titel – beschreibe den Zustand der Welt in einer Art, die Angst mache. Ist unsere Lebensweise dem Untergang schon so nahe, dass es ein Tag ohne Ende ist? Joe Casey, der Sänger von Protomartyr, sagt im Interview mit der Jungle World: »Die Dunkelheit kann am Tag viel schlimmer sein als in der Nacht.«

Die Texte wirken schwer und fragil zugleich, aber auch erfrischend ehrlich. Casey sieht sich nicht als Schauspieler, der Gefühle abrufen kann, vielmehr ruft die Musik sie in ihm hervor. »Die Musik kommt immer zuerst. Ich höre sie und sie bringt die Emotionen zu mir. Ich kann keine Emotionen erzwingen, um zu schreiben. Das muss natürlich passieren, ich muss die Gefühle umarmen wollen.« Dass die Band aus Detroit kommt, dem heruntergekommenen und dreckigen Spielplatz voller Industrieruinen, merkt man ihrer Musik unüberhörbar an. Die schrammelig gespielten Gitarren und das stoische Schlagzeug treffen auf die Klänge der Jazzmusiker, mit denen die Band zusammenarbeitete, was zuweilen sehr schräg klingt. Die sich verzehrenden Melodien tragen die depressive Baritonstimme Caseys, in dessen Texten es beängstigend (»A foreign disease washed upon the beach« aus »Processed by the Boys«), brillant-sardonisch (»Could lick it off of the bootheels of the blessed« aus »Worm In Heaven«) und auch trocken-sachlich (»The pain arrives again, wait for relief under the tongue« aus »Tranquilizer«) zugeht.

Manchmal steht am Anfang einer Platte der Band nicht die Musik, sondern die Bildidee für das Cover. Casey, der lange vor Beginn der Arbeit am neuen Album las, wie die US-­Armee Maultiere als Transport- oder Reittiere in unwegsamen Gelände einsetzt, wurde das Bild in seinem Kopf nicht mehr los, so dass nun ein Maultier das Cover ziert. Die Belastbarkeit des Muli und die Tatsache, dass es alles mit sich herumschleppt, berührte ihn so sehr, dass es nicht nur zum Cover-Motiv, sondern auch »zum Sinnbild des Albums« wurde.

Aufgrund der düsteren Themen könnte leicht der Eindruck entstehen, »Ultimate Success Today« sei von der Pandemie beeinflusst, doch das Album wurde schon 2019 aufgenommen. Das macht nur noch deutlicher, wie viel Angst die Welt schon vor Covid-19 machen konnte. Casey hofft dennoch, dass Protomartyr »als Band noch so lange existieren kann, dass wir auch ein süßes Album machen können, ein Happy-Album«. So kann ein Sonntagmittag nämlich auch sein: Die Sonne verschwindet hinter den Wolken, der Regen peitscht gegen das Dachfenster und die Stimmung steigt.

Protomartyr: Ultimate Success Today (­Domino)

Das Erscheinungsdatum des Albums wurde aufgrund der Covid-19-Pandemie auf den 17. Juli verschoben. Die Singles »Processed by the Boys« und »Worm in Heaven« sind bereits erschienen.