Das Bundesinnenministerium spricht von »deutschfeindlichen« Straftaten

Alman Attak

Die Statistik des Bundesinnenministerium führt 132 Straf­taten unter der Rubrik »Deutschfeindlich« auf, ohne zu ­definieren, was damit gemeint ist. Bislang handelte es sich um einen rechten Kampfbegriff, der nun durch die Hintertür in den behördlichen Sprachgebrauch übernommen wird.
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Es ist nur ein kleiner Absatz, ganz unten auf Seite sechs der vergangene Woche vorgestellten Statistik über »Politisch motivierte ­Kriminalität« (PMK), und inmitten der 22 342 rechten Straftaten, die zuvor und danach thematisiert werden, geht er fast unter: »Dem ebenfalls zum 01. 01. 2019 neu eingeführten Themenfeld ›Deutschfeindlich‹ wurden 132 Straftaten, davon 22 Gewalt­delikte, zugeordnet.« Näher definiert wird dieses neue »Themenfeld« nicht, so muss man sich selbst auf die Suche begeben.

Auf den Internetseiten der Bundeszentrale für politische Bildung beschreibt Sina Laubenstein den Begriff »Deutschenfeindlichkeit« als »festen Bestandteil der rechtsextremen Propagandastruktur«, und auch im »Handwörterbuch rechtsextremer Kampfbegriffe« hat er einen eigenen Eintrag. So beklagte der extrem rechte Historiker Gustav Sichelschmidt 1992 in seinem Buch »Der ewige Deutschenhass«, dass Rassismus gegen Deutsche noch immer kein anerkanntes Phänomen sei, obwohl er die beiden Weltkriege ver­ursacht und mehr Opfer als der Antisemitismus gefordert habe. Die rechtspopulistische Wählervereinigung »Bürger in Wut« scheiterte 2008 mit dem Versuch, »deutschenfeindliche Äußerungen« als Volksverhetzung anerkennen zu lassen.

Zwei Jahre später nahm die damalige Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) die Debatte wieder auf, da sich ihrer Meinung nach auf deutschen Schulhöfen Rassismus in Form von Deutschenfeindlichkeit breitmache. 2018 wollte dann die AfD im Bundestag zum »Schutz der eigenen Bevölkerung vor rassistischer Hetze und Gewalt« den Volksverhetzungsparagraphen erweitern, die anderen Fraktionen erteilten dem Gesetzentwurf jedoch eine Abfuhr. Die Jenaer Rechtsanwältin Kristin Pietrzyk sagte damals dem Tagesspiegel: »Dieser Antrag versucht, den Wahn eines Abwehrkampfes des deutschen Volkes gegen Migranten in Gesetzesform zu gießen.«

Nur ein Jahr später erhebt das Bundesinnenministerium die rechte Wahnvorstellung »Deutschfeindlichkeit« durch die Hintertür zum offiziellen Tatbestand und erklärt durch ihre Einordnung als PMK zu einer »besonderen Bedrohung für unsere Gesellschaft«. Mehr muss man nicht wissen, um zu sehen, dass die autoritäre ­Revolte in Gestalt des Wutbürgers und Bundesinnenministers Horst Seehofer (CSU) längst in der Regierung ankommen ist. Keine vier Monate nach dem rassistischen Massaker von Hanau, während rechte Gewalt in der Bundesrepublik ein bisher nicht dagewesenes Ausmaß erreicht hat, sollen sich endlich auch Deutsche als Opfer fühlen dürfen.

Bleibt bloß die Frage: Wie schafft man es in diese Statistik? Reicht schon ein laut gerufenes »Deutsch’ mich nicht voll!«, mit dem Ende der neunziger Jahre die Organisation Kanak Attak ihre Deutschfeindlichkeit ausdrückte? Oder muss man sich aktiv an der Umvolkung beteiligen? Ist die Titulierung »du Kartoffel« noch deutschkritisch oder schon deutschfeindlich? Gibt »Deutschland, du mieses Stück Scheiße« einen Doppeleintrag?

Vieles ist noch unklar, eines aber nicht: »Deutschfeindlich« ist ein rechter Kampfbegriff, der die Kategorie der »gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit« ad absurdum führen soll. Es kann ­keinen Rassismus gegen die weiße Dominanzgesellschaft geben. Der Hass auf Migranten und Nichtweiße ist zudem meist dort ­besonders stark ausgeprägt, wo es sehr wenige von ihnen gibt. Bei Deutschen ist es in der Regel genau andersherum. »Eine der un­angenehmsten deutschen Eigenschaften«, schrieb Wiglaf Droste vor fast 30 Jahren, sei »das triefende Mitleid mit sich selbst und den eigenen Landsleuten«. Daran hat sich bis heute nichts geändert.