Bundesinnenminister Seehofer und die Polizeigewerkschaften lehnen das Berliner Antidiskriminierungsgesetz ab

Extrem beleidigt

Bundesinnenminister Horst Seehofer und die Polizeigewerkschaft GdP lehnen das Berliner Antidiskriminierungsgesetz ab. In ihrer Kritik nehmen sie es mit den Fakten nicht so genau.

Latenten Rassismus gebe es auch bei deutschen Sicherheitskräften, sagte die SPD-Vorsitzende Saskia Esken Anfang Juni und forderte eine unabhängige Beschwerdestelle. Seit Wochen sind die Vorwürfe an die Polizei lauter geworden, Rassismus in den eigenen Reihen zu ignorieren, und einen Moment lang mochte es so erscheinen, als könne dies Folgen haben. Doch unter politischen Druck geraten, relativierte Esken ihre Kritik. Bald darauf erstatteten die Gewerkschaft der Polizei (GdP) sowie die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) Anzeige wegen Volksverhetzung gegen die Taz, nachdem Hengameh Yaghoobifarah dort vorgeschlagen hatte, nach einer Abschaffung der Polizei sollten deutsche Polizisten ihr berufliches Glück auf der Müllhalde finden, wo sie »nur von Abfall umgeben« und »unter ihresgleichen« wären. Bundes­innenminister Horst Seehofer drohte in der Bild-Zeitung ebenfalls mit einer Anzeige, nahm allerdings einige Tage später davon Abstand und äußerte stattdessen die Absicht, die Taz-Chefredaktion »einzuladen«, um über Yaghoobifarahs Text zu sprechen.

Bundesinnenminister Horst Seehofer sowie mehrere Landesinnenminister erwogen auf Druck der Polizeigewerkschaft GdP zunächst öffentlich, keine Polizei mehr nach Berlin zu entsenden.

Gelegen kam zudem der Krawall in der Stuttgarter Innenstadt, von dem die Polizei ein dramatisches Bild zeichnete. Der Stuttgarter Polizeipräsident Franz Lutz erkannte gar eine »nie dagewesene Dimension von offener Gewalt gegen Polizeibeamte«. Seehofer brachte Yaghoobifarahs Text mit den Krawallen in Verbindung, die »Enthemmung der Worte« führe »zu Gewaltexzessen, wie wir das jetzt in Stuttgart gesehen haben«.

Die GdP, die im Vergleich zur DPolG als liberaler gilt, grenzt sich in ihrer Selbstdarstellung von den US-Kollegen ab. In der aktuellen Ausgabe des GdP-Magazins Deutsche Polizei zeigt der stellvertretende Bundesvorsitzende, Dietmar Schilff, Verständnis für die hiesigen »Black Lives Matter«-Proteste, solange es dabei um den Tod des US-Amerikaners George Floyd gehe, der in keinem Zusammenhang mit den deutschen Verhältnissen stehe. Doch werde, klagt Schilff, am Rande der Proteste immer wieder die Polizei von »Feinden unseres Rechtsstaats« attackiert. Ein strukturelles Problem mit Rassismus gebe es in der deutschen Polizei nicht, sondern lediglich bedauerliche Einzelfälle. Die Redaktion des Magazins weiß offensichtlich genau, wo der Feind steht: Thema der Juliausgabe ist der »Linksextremismus – Brutal. Zynisch. Arrogant«.

Das für die Polizei derzeit vielleicht wichtigste Mittel zum Krisenmanagement besteht in der Mythenbildung im Kampf gegen das Antidiskriminierungsgesetz des Landes Berlin. Dieses stellt ein Schlüsselprojekt des rot-rot-grünen Berliner Senats dar, an dem dieser bereits seit Beginn der Legislaturperiode arbeitete. Nun koinzidierte die Verabschiedung des Gesetzes mit den Protesten gegen rassistische Polizeigewalt. Bundesinnenminister Seehofer und mehrere Landesinnenminister erwogen auf Druck der Polizeigewerkschaften zunächst öffentlich, keine Polizei mehr nach Berlin zu entsenden.

Diese drastische Reaktion ist angesichts des Anspruch des Gesetzes nicht verständlich: »Kein Mensch darf im Rahmen öffentlich-rechtlichen Handelns aufgrund des Geschlechts, der ethnischen Herkunft, einer rassistischen Zuschreibung, der Religion und Weltanschauung, einer Behinderung, einer chronischen Erkrankung, des Lebens­alters, der Sprache, der sexuellen und geschlechtlichen Identität sowie des sozialen Status diskriminiert werden.« Im Grunde wird lediglich der zivilrechtliche Teil des bereits 2006 beschlossenen bundesweit geltenden Allgemeinen Gleichbehandlungs­gesetzes (AGG), das in vielen Bereichen Diskriminierung verbietet, auf Behörden zu übertragen.

(Dessen arbeitsrechtlicher Teil gilt ohnehin auch für Behörden.) Ein logischer Schritt also, denn warum sollte für Behörden nicht gelten, was für Privatleute gilt? See­hofer sagte im Gespräch mit dem Tagesspiegel jedoch, das Gesetz sei »im Grunde ein Wahnsinn« und stelle die Polizei »unter Generalverdacht«. Er verbreitete zudem die Vorstellung, damit ginge eine Beweislastumkehr ­einher: »Ich kann meine Beamten nicht dieser Diskriminierung aussetzen, wo sie dann beweisen sollen, dass sie nicht diskriminiert haben.«

So entstand der Eindruck, es genüge nun, der Polizei Diskriminierung bloß vorzuwerfen, um Schadenersatz einklagen zu können, solange diese nicht das Gegenteil beweisen kann. Anna Katharina Mangold, Professorin für ­Öffentliches Recht und Europarecht an der Europa-Universität Flensburg sowie Autorin eines Ende des Jahres erscheinenden Fachbuchs über Antidiskriminierungsrecht aus verfassungstheoretischer Perspektive, sagte im Gespräch mit der Jungle World, das Gesetz schaffe lediglich prozessuale ­Regelungen, wie Artikel drei des Grundgesetzes angewandt werden kann, und habe damit eine Vorbildfunktion für die anderen Bundesländer. Dass Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit haben sollten, sich gegen Diskriminierung durch die Behörden zu schützen, sei eigentlich selbstverständlich. Insbesondere angesichts des ­Behördenversagens während der NSU-Ermittlungen und des immer deutlicher zutage tretenden strukturellen Rassismus sei dies unerlässlich. Mit der Benennung des sozialen Status gehe das Gesetz einen notwendigen Schritt weiter, denn damit würde sozioökonomische Diskriminierung etwa in der Schule erstmals adressierbar. Die tatsächliche Wirkung des Gesetzes sei aber schwer absehbar: »Man kann vorher eigentlich nicht sagen, wie ein ­Gesetz wirken wird, weil das von einer Vielzahl von Faktoren abhängig ist, die nicht allein in der Qualität der Gesetzgebung liegen. Besonders wichtig ist, wie die rechtlichen Hürden zur Anzeigenstellung wahrgenommen werden.«

Die Polizei wird ohnehin selten an­gezeigt und noch seltener zur Rechenschaft gezogen. Dem Zwischenbericht eines Forschungsprojekts der Uni Bochum über Körperverletzung im Amt durch Polizistinnen und ­Polizisten zufolge gibt es pro Jahr etwa 12 000 Fälle rechtswidriger Polizeigewalt, von denen nur rund 2 000 angezeigt werden. Nach Kenntnis der Betroffenen kam es nur in 13 Prozent der Fälle zu einem Strafverfahren. Aus Daten des Statistischen Bundesamtes geht hervor, dass nur knapp zwei Prozent aller angezeigten Polizistinnen und Polizisten vor Gericht erscheinen müssen.

Es ist davon auszugehen, dass Betroffene rassistischer oder anderer diskriminierender Polizeigewalt solche Vorfälle selten anzeigen. Kann das Antidiskriminierungsgesetz ein Mittel sein, daran etwas zu ändern? Mangold hält die konkrete Ausgestaltung des Verbandsklagerechts für entscheidend: »Welche Möglichkeiten Verbände, möglicherweise auch neu gegründete, haben, ist wichtig für die Rechtsdurchsetzung. Wenn juristisch versierte Organisationen Verbandsklagen mit soliden Fällen durchführen und mit entsprechender Pressearbeit begleiten, wird es eine Signalwirkung geben, die zur Etablierung des Antidiskriminierungsgesetzes beiträgt.«

Die vom Bundesinnenminister verbreiteten Behauptungen hält Mangold für absurd, es gebe keine Beweislastumkehr: »Es handelt sich um eine Beweis­erleichterung, wie wir sie im Prozessrecht an vielen Stellen kennen, überall dort, wo es Informationsasymmetrien gibt.« Eine Person, die sich diskriminiert fühlt, beispielsweise bei Verdacht auf racial profiling, könne nur ihren eigenen Eindruck von der Situation wiedergeben, bräuchte aber zusätzliche Informationen, über die nur die Gegenseite verfügt, um Diskriminierung beweisen zu können. Nehme die Polizei Personenkontrollen nicht nach rassistischen Kriterien vor, sei es ihr ein Leichtes, das durch Dokumentation der in einem bestimmten Zeitraum kontrollierten ­Personen zu belegen. Eine kontrollierte Person hat jedoch keinen Zugang zu solchen Informationen. Diese Art der Beweiserleichterung sei nicht nur bereits im AGG, sondern auch in den Antidiskriminierungsrichtlinien der EU festgeschrieben und somit kein Novum. »Ich habe die Polizeigewerkschaften schwer im Verdacht, hier mit Absicht fake news zu verbreiten«, so Mangold. Dass das Berliner Beispiel dennoch Schule macht, zeigt der Entwurf für ein neues Landespolizeigesetz in Bremen, der ein Verbot rassistisch motivierter Polizeikontrollen enthält.

Die GdP hat, unterstützt von diversen Innenministern, mit der Kampagne gegen das Antidiskriminierungsgesetz, der Dämonisierung von Linken und der Dramatisierung der Ausschreitungen in Stuttgart abermals rechte Kräfte zur eigenen Unterstützung mobilisiert. Von der oftmals proklamierten »Fehlerkultur«, mit der man den »Einzelfällen« beikommen will, bleibt nur das Lippenbekenntnis.