Die Polizei stilisiert sich gern als Opfer – aus politischen Gründen

Neue Empfindsamkeit

Die Dünnhäutigkeit, mit der die deutsche Polizei auf ihre Kritiker reagiert, überspielt ein politisches Interesse.
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Anfang Juli präsentierte die Hamburger Polizei auf Twitter eine Postkarte, mit der ein Schüler namens Ben der »lieben LBP« (vermutlich Jugendslang für Landesbereitschaftspolizei) für ihre Arbeit dankte – und reagierte dünnhäutig, als zahlreiche User die Echtheit der unfrankierten Karte anzweifelten: Das Schreiben sei in einem Umschlag verschickt worden, so die Erklärung der Polizei, und überhaupt: »#nohatespeech gilt in alle Richtungen.«

Ob Ben tatsächlich existiert (und die Veröffentlichung der verschlossen zugestellten Fanpost somit eine Verletzung des Briefgeheimnisses darstellt) oder ob es sich um den Schwindel einer schwer liebesbedürftigen Behörde handelt, sei dahingestellt. Bemerkenswert ist jedenfalls, dass die Social-Media-Beamten kritische, teils natürlich auch höhnische Kommentare auf eine Stufe stellen mit den Beleidigungen und Bedrohungen, denen Menschen ausgesetzt sind, die sich der rechte Online-Mob zum Ziel erkoren hat – sagen wir, nur so beispielsweise, weil sie eine polizeikritische Kolumne verfasst haben.

Oder auch, wie »Fridays for Future Weimar«, einen Tweet, in dem es heißt: »Die Polizei diskriminiert, mordet, prügelt, hehlt.« Letzteres bezieht sich auf den schwunghaften Handel, den Leipziger Beamte mit als gestohlen beschlagnahmten Fahrrädern betreiben (Jungle World 26/2020). Woraufhin die Polizei Thüringen mitteilte, sie habe »den Tweet gesichert«, und die Kriminalpolizei Weimar Anzeige wegen Volksverhetzung stellte.

So absurd dieser Trend ist, die Polizei zur diskriminierten Minderheit zu stilisieren, so gefährlich ist er. Zweifellos dient er derzeit dazu, von der polizeikritischen Debatte abzulenken, die im Zuge der »Black Lives Matter«-Proteste selbst hierzulande zaghaft in Gang gekommen war. Und die Opfererzählung trifft auf offene Ohren. Nötig hat die Polizei es jedenfalls nicht, sich selbst Liebesbriefe zu schicken, schließlich erreichen sie derzeit zahlreiche öffentliche Solidaritätsbekundungen. Der ehemalige Vizekanzler und Minister Sigmar Gabriel (SPD) etwa rief dazu auf, Buttons mit dem Motto »Wir sind Polizei« zu tragen, der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann behauptete im Interview mit der GdP-Publikation Deutsche Polizei: »Polizeibeauftragte stigmatisieren eure Berufsgruppe. Das stellt unseren Rechtsstaat in Frage.« Ob er wohl auch eine Stigmatisierung des Krankenhauspersonals durch Hygienebeauftragte sieht?

Die polizeiliche Täter-Opfer-Umkehr befördert eine diskursive Verschiebung, die, ausgehend von der Opferpose gewöhnlicher Nazis und sogenannter rechtskonservativer Kreise, längst auch die sogenannte Mitte erreicht hat. Zur Strategie gehören etwa die seit Anfang des Jahres in der Statistik des Innen-, pardon, Heimatministeriums erfassten »deutschfeindlichen Straftaten« ebenso wie die Verkehrung des Rechtsstaatsbegriffs, wie sie etwa auch der DGB-Vorsitzende im obigen Zitat vornimmt – und die Dämonisierung der Antifa und anderer linker Kräfte bei gleichzeitigem Ignorieren der Gewalt, die von Rechten und der Polizei ausgeht. Einer kürzlich angekündigten Studie über racial profiling durch die Polizei hat Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) gerade erst eine Absage erteilt – er sieht »keinen Bedarf«.

Bedarf sieht er stattdessen dafür, dass seine Schutzbefohlenen künftig leichter an IP-Adressen und Passwörter von Internetnutzern gelangen können. So sieht es nämlich ein gerade vom Bundestag verabschiedetes Gesetz vor, das sich vorgeblich »gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität« im Netz richtet – etwa bei Ermittlungen wegen Volksverhetzung. Ein Schelm, wer mehr als nur fragile Egos hinter den Empfindlichkeiten von in Behördenauftrag twitternden Polizisten vermutet.