Besteuern ist gut, Enteignen ist besser

Bloß nichts abgeben

Die riesige Abstand zwischen den Einkommen von Armen und Reichen in Deutschland wird häufig systematisch heruntergespielt, doch nun scheint es einmal anders zu sein: Eine Studie zeigt, dass die Vermögensunterschiede hierzulande noch gravierender sind, als die meisten Fach­leute bislang angenommen haben.
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Wissenschaftler des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin fanden heraus, dass dem reichsten Prozent der deutschen Bevölkerung 35 Prozent des zusammengerechneten Vermögens aller Bundesbürger gehören. Bislang sind die Forscher »nur« von knapp 22 Prozent ausgegangen. Die reichsten zehn Prozent der Deutschen besitzen zwei Drittel des Gesamtvermögens. Bei der Hälfte der Bürger in Deutschland bleiben statistisch gesehen nach Abzug der durchschnittlichen Schulden 3 682 Euro Vermögenswerte. Das liegt unter dem Betrag, den Fürsorgeempfänger als Freibetrag besitzen dürfen.

Die Coronakrise wird zeigen, wie fragil die ökonomische Lage vieler Menschen ist, die sich selbst bislang als solvent angesehen ­haben. Bei ihnen wird wenig von den Milliarden ankommen, die der Staat jetzt als Coronahilfe ausgibt. Die Bundesrepublik von heute ist weit von der im Großen und Ganzen sozial ausgewogenen Mittelstandsgesellschaft entfernt, die von Konservativen, Liberalen und auch Sozialdemokraten und Grünen gerne beschworen wird. Die Verhältnisse hierzulande ähneln denen in den USA sehr viel mehr als jenen der eher egalitären Gesellschaften Skandinaviens.

Die DIW-Forscher sehen angesichts ihres eigenen Befunds durchaus Handlungsbedarf. Aber sie fordern nur das, was seit Jahrzehnten Leitlinie der Regierungspolitik ist. Die ungleiche Eigentumsverteilung soll ausbalanciert werden, indem die Besitzlosen staatliche Anreize zum Vermögensaufbau bekommen – was bislang nur der ­Finanzbranche etwas eingebracht hat. Maßnahmen, die zu einer Umverteilung von Vermögen von oben nach unten führen könnten, lehnen die wirtschaftsnahen Forscher dagegen ab. Sie sind zum Beispiel gegen eine Vermögenssteuer – weil der meiste Besitz in Unternehmen gebunden sei und damit ihrer Meinung nach etwas gesellschaftlich Sinnvolles bewirke.
Das ist jedoch eine unsinnige Begründung. Firmen sind keine Wohlfahrtsverbände. Nicht nur Jet-Set-Reiche, auch Großunternehmer haben ihr Vermögen nie ausschließlich sich selbst zu verdanken; sie haben es geerbt oder von anderen erarbeiten lassen, die sie sehr selten angemessen an den Gewinnen beteiligen. Die deutsche Regierungspolitik belohnt das, statt wenigstens in Ansätzen für einen Ausgleich zu sorgen.
S

chon die Tatsache, dass Einkommen aus Arbeit höher besteuert wird als jenes aus Kapitaleinkünften, zeigt die Ungerechtigkeit der Steuerpolitik. Der niedrige Spitzensteuersatz, die niedrige Erbschaftssteuer für hohe Vermögen, die fehlende Vermögensteuer, die Beitragsbemessungsgrenzen in der Sozialversicherung – es gibt viele Gründe, warum die Reichen immer reicher werden und die anderen auf keinen grünen Zweig kommen. Die SPD, die angeblich genau das nicht will und die mit einer vierjährigen Pause seit 1998 in Deutschland regiert, ist dafür mitverantwortlich.

Ohne eine angemessene Abgabenpolitik ist es unmöglich, ökonomische und soziale Balance auch nur anzustreben. Aber eine solche alleine reicht nicht. Die extremen Steuerprivilegien für Reiche und die berechtigte Forderung nach deren Korrektur verstellen leicht den Blick auf die Machtverhältnisse, die diese Vergünstigungen erst möglich machen. Ohne die Demokratisierung der Wirtschaft wird sich nichts grundsätzlich ändern. Umverteilung von oben nach unten ist überfällig – sie wird nicht möglich sein, ohne Reichen etwas wegzunehmen. Und dabei kann es eben nicht nur um Abgaben gehen, es geht auch um die Eigentumsfrage. Die Vergesellschaftung von Großunternehmen führt nicht zum Ende des Kapitalismus, aber möglicherweise zu einem Ende zügellosen Profitstrebens auf Kosten derer, die kaum etwas oder nichts haben.