Ein neuerlicher Prozess gegen VW-Manager zeigt, wie sich die Autokonzerne Betriebsräte kaufen

Kollege Millionär

In Braunschweig stehen ehemalige und derzeitige Manager von VW vor Gericht. Sie sollen Betriebsratsmitgliedern überhöhte Gehälter gezahlt und Geld veruntreut haben. Arbeitnehmervertreter einzukaufen, hat nicht nur bei diesem Automobilkonzern Tradition.

Veruntreuung von Geldern in einem besonders schweren Fall, so lautet die Anklage. In der vergangenen Woche eröffnete das Landgericht Braunschweig ein Verfahren gegen drei ehemalige und einen derzeitigen Manager des Volkswagen-Konzerns. Vor allem dem ehemaligen Vorstandsmitglied für den Bereich Personal und Organisation beim weltgrößten Automobilhersteller, Karlheinz Blessing, wird vorgeworfen, völlig überzogene Zahlungen an Mitglieder des Betriebsrats bewilligt zu haben. Zwischen 2011 und 2016 sollen fünf Millionen Euro an unbegründeten Gehaltszulagen und Boni an fünf Vertreter der Beschäftigten geflossen sein. Allein der Vorsitzende des Gremiums, Bernd Osterloh, soll in diesem Zeitraum 3,125 Millionen Euro an ungerechtfertigter Vergütung erhalten haben, gibt die Staatsanwaltschaft an.

VW zahlt die hohen Summen an die Betriebsratsfürsten aus einem klaren Beweggrund. Stets war auf diese Verlass, wenn der Vorstand Maßnahmen gegen die Beschäftigten durchsetzte.

Der Konzern sieht die Vorgänge dagegen offenbar als völligunproblematisch an. »Die Volkswagen AG hält an ihrer Rechtsauffassung fest, dass im Zusammenhang mit der Festlegung der Vergütung einzelner Betriebsratsmitglieder kein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten festgestellt werden kann«, hieß es am vergangenen Dienstag in einem Schreiben aus der Zentrale lapidar. Berufen können sich die Bosse von VW und anderen Konzernen dabei auf die sehr vagen Formulierungen des Betriebsverfassungsgesetzes. Darin sind die Bezüge für Betriebsräte letztlich nicht geregelt, gilt die Aufgabe nach dem Gesetz doch als Ehrenamt. Bei einer Freistellung für die Tätigkeit soll im Prinzip einfach der entgehende Lohn ausgezahlt werden. Dazu kommen Ausgleichsentgelte für entgangene Überstunden und – das ist der Teil des Gesetzes, auf den der Konzern sich beruft – Aufschläge für einen möglicherweise ausbleibenden Aufstieg in der Hierarchie des Betriebs.

Angesichts der Entlohnung in Millionenhöhe hätte der VW-Vorstand eine äußerst bemerkenswerte Karriere Osterlohs erwarten müssen. Die Staatsanwaltschaft stellt genau dies in Frage: Das Management habe »bewusst eine unzutreffende Vergleichsgruppe zugrunde gelegt«, um das hohe Gehalt zu rechtfertigen. Dieses Vorgehen stehe auch im Konflikt mit dem Aktiengesetz und dem »Deutschen Corporate Governance Kodex«, heißt es in der Begründung zur Verfahrenseröffnung.

Die Vorgeschichte dieses Verfahrens ist alnglang und eindeutig: Betriebsräte zu schmieren, hat bei VW Tradition. Osterlohs Vorgänger, Klaus Volkert, musste 2005 wegen Korruptionsvorwürfen zurücktreten. 1,95 Millionen Euro an teilweise nicht ausgewiesenen Sonderzahlungen hatte der gelernte Mechaniker zwischen 1994 und 2005 vom damaligen VW-Vorstandsmitglied Peter Hartz erhalten. Hinzu kamen 400 000 Euro an Zuwendungen für die Lebensgefährtin Volkerts und sechsstellige Spesen für Reisen, die aus dem Betriebsratshaushalt entnommen worden waren. Vor allem die von dem VW-Personalmanager Klaus-Joachim Gebauer organisierten Reisen und diversen Bordellbesuche, bei denen etwa 1,3 Millionen Euro verprasst worden waren, weiteten sich 2006 zum sogenannten VW-Skandal aus, in dessen Folge Volkert schließlich wegen Beihilfe und Anstiftung zur Untreue zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt wurde.

Osterloh, der jahrelang als Volkerts Stellvertreter tätig war und von diesem als Nachfolger aufgebaut wurde, macht seinem Vorgänger alle Ehre. Der Industriekaufmann, der seit 1977 bei VW arbeitet und weiterhin dem Vorstand der IG Metall angehört, geriet bereits 2017 in den Blick der Ermittlungsbehörden. Zu den etwa 200 000 Euro Grundgehalt hatte Osterloh jährliche Boni erhalten, die seine Einnahmen auf bis zu 750 000 Euro im Jahr anwachsen ließen. Immerhin hatte VW aus dem Fall Volkert eines gelernt: Die Zahlungen waren offiziell ausgewiesen worden. So konnten Osterloh und 14 seiner Kollegen das Verfahren damals mit einem Vergleich abwenden. Derzeit läuft ein abgetrenntes Ermittlungsverfahren gegen Osterloh wegen Verdachts der Beihilfe zur Untreue.

VW zahlt diese Summen nicht aus klaren Beweggrund. Stets war auf die Betriebsratsfürsten Verlass, wenn der Vorstand Maßnahmen gegen die Beschäftigten durchsetzte. Dies war etwa 1993 der Fall, als in den VW-Werken in Deutschland die Viertagewoche bei 15prozentigem Lohnverlust mit Hilfe der Arbeitnehmervertreter durchgesetzt wurde, ebenso wie 2001 bei der Einstellung 5 000 neuer Kollegen zu einem deutlich unter dem Haustarif liegenden Lohn. Auch Osterloh selbst war als Gesamtbetriebsratsvorsitzender des Konzerns an den Entlassungen der vergangenen Jahre beteiligt. 2018 begründete er dies in einem Interview mit dem Handelsblatt mit der Konkurrenzfähigkeit des Unternehmens. »In dem Konzern mit seinen zwölf Marken müssen wir die Synergien besser heben«, sagte Osterloh damals im Jargon des Managements. Er habe viel Lob von »interna­tionalen Finanzanalysten und Investoren« erhalten, hob er stolz hervor. Und damit es auch jeder versteht, schloss Osterloh mit folgenden Worten: »Wir sind eine integrative Kraft, die immer auch wirtschaftlich denkt.«

Diese Praxis fürstlicher Entlohnung für konforme Betriebsräte ist nicht auf VW beschränkt. Besonders bei den Autoherstellern, Deutschlands wichtigstemn Industriezweigkonzernen, herrscht dieser Burgfrieden, für den die Betriebsräte tatkräftig sorgen – und für den sie wie die Bosse entlohnt werden. Der wohl bekannteste Fall ist der des langjährigen Betriebsratsvorsitzenden von Porsche, Uwe Hück. Dieser trat nicht selten als inoffizieller Konzernsprecher in den Medien auf und unterschrieb unter anderem 2015 den Plan zur Kürzung der Löhne der Beschäftigten um insgesamt 128 Millionen Euro über einen Zeitraum von zehn Jahren, womit der Ausbau der Elektrosparte des Unternehmens finanziert werden sollte. Nicht nur kassierte Hück von 2003 bis 2019 jeweils zwischen 400 000 und 500 000 Euro Jahresgehalt, sondern er wird auch nach seinem Ausscheiden von Porsche bezahlt, wie Business Insider im Januar berichtete.

Nicht anders ist es bei Daimler: Jüngst hatten die dort geplanten Entlassungen von bis zu 30 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für Aufsehen gesorgt. Die Beschäftigten mussten von diesem Vorhaben aus der Zeitung erfahren, der Betriebsrat hatte die Informationen zunächst bewusst zurückgehalten. In einer E-Mail verkündete der Betriebsrat als Reaktion auf die Berichte lediglich, »zusätzliche Maßnahmen« seien erforderlich, um die finanzielle Situation von Daimler weiter zu stabilisieren. Auch wenn der verantwortliche Gesamtbetriebsratsvorsitzende Michael Brecht für die vergleichsweise geringe Summe von 200 000 Euro im Jahr zu haben ist: Deutschlands Weltkonzerne wissen und sorgen gezielt dafür, dass auf ihre ­Belegschaftsvertreter Verlass ist.