Die Pandemie wird in den kapitalis­tischen Alltag integriert

Faites vos jeux

Was kümmert mich der Dax. Von

»Wir dachten erst, das wäre ein Art Gerücht«, sagte Randy Smith, Feuerwehrhauptmann von Tuscaloosa im US-Bundesstaat Alabama. Ärzte und Behörden hätten jedoch bestätigt, dass es in der Stadt Coronapartys gibt, bei denen eine Infektion der Hauptgewinn ist. Man lädt einen positiv Getesteten ein, wirft Geld in einen Topf, und »wer als Erster Covid-19 bekommt, erhält den Topf«. Beispiele dieser Art schüren zuverlässig die Empörung über verantwortungslose junge Leute, die rücksichtslos andere gefährden, weil sie Spaß haben wollen. Diese Empörung ist durchaus berechtigt, sie kommt jedoch selten auf, wenn erhöhte Infektionsgefahr für die Fortsetzung der Produk­tion oder die termingerechte Bereitstellung des Humankapitals in Kauf genommen wird.

Die Wiederaufnahme des Normalbetriebs mit dürf­tigen Schutzmaßnahmen an den deutschen Schulen, die Anfang August in Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern begonnen hat, ist eine großangelegte Wette – ein Preis für den ersten Infizierten war allerdings nicht vorgesehen. Der wäre bereits fällig gewesen, denn schon in der ersten Woche mussten in Mecklenburg-Vorpommern zwei Schulen wegen Infektionen wieder geschlossen werden. Aber wen interessiert’s? Wird schon gutgehen, darauf hofft man offenbar in der Bundesregierung und den Landes­regierungen und ignoriert souverän die Erfahrungen in anderen Ländern sowie wissenschaftliche Erkenntnisse. In Israel waren 47 Prozent der Covid-19-­Infektionen im Juni auf die Schulöffnung im Mai zurückzuführen. Mehrere Studien haben zudem ergeben, dass zehn- bis 19jährige sich und andere ebenso häufig infizieren wie Erwachsene. Eine Erkrankung verläuft keineswegs immer harmlos, in Florida stieg die Zahl der Kinder, die wegen Covid-19 im Krankenhaus behandelt werden müssen, zwischen dem 16. und dem 24. Juli von 246 auf 303.

Man kam sich in den ersten Monaten der Pandemie ja zuweilen wie ein abgebrühter Zyniker vor, weil man die vielen optimistischen Einlassungen aus der Linken über die »Krise als Chance« für Tagträumerei hielt. Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit, innere Einkehr – was sollte da nicht alles kommen. Doch die Erschütterung durch die Coronakrise war nicht stark genug, um eine Abkehr von den üblichen Methoden kapitalistischer Verwaltung zu erzwingen, und die meisten Lohnabhängigen (sowie vermutlich auch Schülerinnen und Schüler) kämpfen nicht für ein neues und besseres Leben, sie wollen einfach nur so schnell wie möglich ihr altes zurückhaben. Die Virusbekämpfung wird in den Alltag in­tegriert, eine Ausrottung von Covid-19 gilt als zu aufwendig und kostspielig, stattdessen wird nun die ­Verantwortung an die Individuen delegiert. Da ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Schuld für Infektionen an Schulen Schülern zugeschoben werden wird, die aus Risikogebieten (Türkei!) zurückgekehrt sind. Wetten, dass?