Ehemalige Macher von Techno-Zeitschriften

»Unser Medium war Papier«

In den neunziger Jahren wurde über Techno maßgeblich in Fanzines und Zeitschriften berichtet, die sich der Musik mit einer ganz eigenen Ästhetik näherten.

Alles geht so irre schnell. Da ist der rapide Takt, in dem die Lautsprechermembranen in den Clubs zucken, da ist aber auch die rasante Entwicklung der elektronischen Musik als Ganzes. Was an einem Tag gültig ist, kann am nächsten Tag schon wieder überholt sein. »Während der Neunziger gab es im Bereich der elektronischen Musik eine extreme Ausdifferenzierung von Substilen, wie es sie so danach nie wieder gab«, erzählt Sascha Kösch alias DJ Bleed im Gespräch mit der Jungle World. Er schrieb für die Magazine Spex und Front­page über Techno und war 1997 einer der Mitbegründer der De:bug. »Es entwickelten sich verschiedene Sprachen von Musik, unerhörte und ­ungehörte Klangästhetiken. An den Sound-Strukturen konnte man Woche für Woche ablesen, wie gerade der Stand der Kommunikation in der elektronischen Musik war.

Während Zeitschriften inzwischen als langsames Medium gelten, hatten sie als Kommunikationsmittel in den Neunzigern keinen Aktualitätsnachteil.

Nachlesen, was geschah, konnte man in dieser Dekade noch ganz wesentlich in Print-Magazinen. Popzeitschriften darben seit etwa zehn Jahren dahin, die Gattung ist mittlerweile vom Aussterben bedroht. Damals aber prägten Publikationen wie Frontpage, Flyer, Raveline und Groove die frühe Epoche des Techno in Deutschland, in der insbesondere Berlin der feuchte Traum ­eines jeden Ravers war. Die Hefte gehörten genauso zur Subkultur wie schräge Performances, wie Feierei und Freidreherei. Techno und House bildeten wohl die letzten großen Subkulturen, in denen Print-Publikationen zur Ästhetik und den Debatten entscheidend beitrugen.

Frontpage erschien erstmals im Mai 1989 und nahm eine Sonderrolle ein, auch weil das Magazin als das erste gilt, das sich hierzulande allein elektronischer Musik widmete. Mitgegründet wurde es von Jürgen Laarmann, der eigentlich überall die Finger mit drin hatte, wo Techno und House draufstand (etwa als Veranstalter von Loveparade und Mayday). Frontpage wurde zunächst in Frankfurt am Main im Umfeld der Diskothek »Dorian Gray« als achtseitiges schwarzweißes Heft in der Manier eines Fanzine produziert, als »Werbeblättchen« für den Club, wie es Laarmann im Gespräch mit der Jungle World ausdrückt. In der Frühphase bestand eine große Nähe zur EBM-Szene, Frontpage kam stets in düsterem Design daher. Der Name des Magazins gehe auch auf die Band Front 242 zurück, so Laarmann.

Anfang der Neunziger zog die Redaktion nach Berlin, Alexander Branczyk kümmerte sich um Blattdesign und Typographie. Bis zum Rave-Siedepunkt Mitte der Neunziger sollte sich das Erscheinungsbild vollends ändern. Frontpage wurde mit spacig-bunten Wimmel-Layout, dem typischen Typo- und Font-Salat sowie den Partybildern zur Design-Blaupause des Techno-Zeitalters. Der Stil: eigenwillig. Die inhaltliche ­Mischung: unvorhersehbar. »Bei Frontpage kamen Dinge zusammen, von denen man dachte, dass sie ­eigentlich nicht zusammengehen können«, sagt Sascha Kösch, der ­Autor des Magazins war. »Einerseits war es ein klassisches Designheft, zugleich widmete man sich marginalen Subkulturen und hat in Teilen ­sogar einen intellektuellen Diskurs geführt. Dann wieder gab es so schräge Formate wie den Kummerkasten und die Kontaktanzeigen für Raver.« Laarmann hält Frontpage für das unbestrittene Leitmedium Frühphase von Techno und House. »Die Bereitschaft, für eine neue Jugendbewegung Geld in die Hand zu nehmen und ein professionelles Magazin zu machen, war andernorts auch gar nicht so groß«, sagt er.

Die vielen Partyfotos in Magazinen wie Frontpage und Raveline (eine Art Rhein-Ruhr-Pendant zu Frontpage), meist frontal aufgenommene Porträts von geschminkten Gesichtern und kostümierten Gestalten, nahmen dabei in gewisser Weise das Selfie-Zeitalter vorweg: »Ich war ­dabei«, sagen diese Bilder, und sie stehen auch für die zu dieser Zeit noch behauptete Utopie der elektronischen Szene, nach der die Party selbst der Star sei und man keine Helden mehr brauche. Die Auflage von Frontpage soll 70 000 Exemplaren erreicht haben, so Laarmann; der Spiegel taxierte sie auf durchschnittlich 35 000 verkaufte Exemplare. Bis 1996 war das Magazin kostenlos, von da an war es für fünf D-Mark am Kiosk erhältlich. Aber schon im Jahr darauf wurde das Magazin eingestellt. »1997 ist die erste Ära von Techno und House zu Ende gegangen, es begann etwas Neues«, meint Laarmann. Wiederbelebungsversuche gab es 2001, für eine kurze Zeit erschien ein Heft mit dem Titel JL Frontpage (JL für Jürgen Laarmann), das im Zeitbank-Verlag.

Auch die erste Ausgabe von Groove erschien 1989 in Frankfurt. »In der Frühphase war Groove ein Stadtmagazin mit Fokus auf Techno-/House-Veranstaltungen und DJ-Charts«, sagt Heiko Hoffmann, späterer Chefredakteur des Magazins, der Jungle World. »Frontpage und Groove waren grundverschieden«, meint er. »Front­page war anfangs im EBM zu Hause, während in Groove zunächst auch Black Music, Soul und Funk besprochen wurden.« Die Magazine hätten seinerzeit eine Lücke geschlossen, so Hoffmann: »Techno und House waren Sounds, die die klassischen Rockjournalisten nicht verstanden haben. Es gab also ein großes Bedürfnis, etwas über diese Musik zu erfahren, über die gar nicht so viele Informationen verfügbar waren.« Erst 1999 siedelte die Groove-Redaktion nach Berlin über. Sie hielt am längsten durch, Ende 2018 wurde die Print-Ausgabe eingestellt.

Die umfassendste Dokumentation all der Publikationen findet sich im Berliner Archiv der Jugendkulturen. Auf etwa zwei Regalmetern sind dort in grauen Kartons die deutschsprachigen Magazine versammelt. Hier ist zum Beispiel eine frühe Kollaboration der Berliner und Frankfurter Szene im Programmheft des Festivals »Berlin Atonal« 1990 dokumentiert (Up Futurezine), in dem sich programmatische Texte mit ­Titeln wie »electromusik ist über­musik« von Jürgen Laarmann oder »die musik der 80er – the age oft the dj mixer« von Westbam finden. Vom Berliner 1000 Clubzine, das auch schon seit 1991 existierte, lagern Ausgaben hier, ebenso vom Mixmag und vom Hype Magazine. Wobei ­neben all jenen auch noch heute vergessene und sehr unterschiedlich gelagerte Magazine wie Swirly, Size!, Loop, Deep und Ffsm (Fachblatt für Synapsenmassage) existierten. Einige Magazine gaben sich den Untertitel »Clubzine«. Der Bezug zur Clubkultur war also von Beginn an gegeben. Als »Magazin für Techno« bezeichnete sich Frontpage schon 1990, während diese Szene-Selbstbezeichnung eigentlich eher nach und nach ein­sickerte. Vergessen ist heutzutage auch, dass mit Network Press schon seit 1985 (und bis 1993) ein Musikmagazin existierte, das über die Stile Techno und House berichtete – wobei es sich im Kern Disco und Black Music verschrieben hatte.

Eine ganz einfache Antwort auf die Frage, warum Magazine derart ­relevant waren, liefert Helge Birkelbach. Er hat 1994 in Berlin das im A6-Format erschienene Magazin Flyer mitgegründet. »Unser Medium war Papier«, sagt er. »Ein Heft konnte jeder machen, es war schnell und einfach in der Herstellung, und man war unabhängig.« Zwischen 1994 und 1996 war Birkelbach Mitherausgeber und Chefredakteur von Flyer, der sich wie eine Mischform aus Veranstaltungskalender und Szene­postille liest. Das Magazin erschien zunächst zweiwöchentlich und lag an sehr vielen Orten in Berlin aus. Später gab es Flyer auch in anderen Städten. Die Berliner Auflage lag 1997 und 1998 bei knapp 30 000 Heften, die Auflage der Sonderausgaben zur Loveparade erreichten knapp 100 000 Exemplare. Berühmt war Flyer für seine Titelblattgestaltung: Für jede Ausgabe wurde ein anderes Markenlogo abgewandelt und zum Titelmotiv auserkoren. »Wir haben ständig die Marke gebrochen und wurden so zur Marke«, sagt Birkelbach, »das war so etwas wie visuelles Sampling.«

Während Zeitschriften inzwischen als langsames Medium gelten, hatten sie als Kommunikationsmittel keinen Aktualitätsnachteil. »Die direkteste Kommunikationsform war der Club. Danach kamen Radiosendungen, vor allem ›SF-Beat‹ und ›The Big Beat‹ von und mit Monika Dietl«, erzählt Birkelbach. »Aber dann kamen schon Fanzines und Magazine. Es war ja auch gar nicht so einfach, damals an Radioformate zu kommen, geschweige denn einen eigenen Sender zu gründen. Heute kann jeder seine Inhalte in Sekundengeschwindigkeit ins Netz stellen.«

Für Birkelbach gibt es aber noch einen zweiten Grund für die Relevanz: »Die Tageszeitungen haben damals kaum über die elektronische Szene berichtet, auch Tip und Zitty haben die Clubkultur ignoriert, wenn nicht sogar torpediert.« So habe man in den traditionellen Medien auch nichts über den neuen Lebensstil der Subkultur lesen können. »Es ging ja nicht nur um Musik, es ging um einen Lebensentwurf. Dazu gehörte neben Musik auch Design, das Outfit und – vielleicht am wichtigsten – der Raum und die Raumgestaltung. Ein Club war wie ein Raumschiff. Entsprechend haben sich die Szenemaga­zine auch mit Lichtinstallationen, Performances, der ­Einrichtung der Clubs und mit Kleidung beschäftigt«, so Birkelbach.

Die vielleicht größte Ausnahmeerscheinung der Dekade war in den späten Neunzigern das Magazin De:bug. Es spaltete sich 1997 von Frontpage ab, erschien zunächst als Heft im Heft unter dem Namen Sound;lab, dann eigenständig unter den Titeln Buzz, Re:Buzz und schließlich De:bug. Auch hier waren Konzept und Graphik außergewöhnlich, aufgemacht war das Heft in den ersten Jahren wie eine seriöse Tageszeitung. »Wir haben eigentlich schon 1997 ­etwas Nostalgisches gemacht, wir haben aus einem alten toten Baum eine Zeitung gemacht«, sagt Mitgründer Sascha Kösch. »Die richtigen Tageszeitungen haben in dieser Zeit unglaublich wenig ausprobiert, wir haben visuell sehr viel experimentiert.«

Form follows function, könnte man im Fall von De:bug sagen, denn die Zeitschrift war die intellektuellste und politischste Publikation ihrer Art, eine Art Spex des Techno. Zwar gab es auch Rezensionen und Musikerporträts, aber auf Seite eins fanden sich auch schon mal Debattentexte zum Thema schwarze Identität oder Essays über das hereinbrechende Digitalzeitalter. 17 Jahre hielt die De:bug durch, ihr Thema blieb über all die Jahre gleich: Techno und Gesellschaft. »Inhaltlich gab es eigentlich nie einen großen Bruch«, so Kösch. »Es war von Beginn an ein Cluster von Ideen, die man verfolgt hat und die sich im Laufe der Zeit nie verändert ­haben.«

Der Hauptgrund, warum am Ende auch Magazine wie De:bug und Groove eingingen (Letzteres existiert immerhin noch im Netz), liegt sicher darin, dass der Sprung ins Digitale misslang. Das Bedürfnis, sich über die elektronischen Musikszene zu informieren, ist noch immer vorhanden, aber in Deutschland lesen viele Interessierte längst auch kostenlos zugängliche englische Online-Magazine. Dass auch ein langsames, traditionelles Medium besondere Qualitäten haben kann, wenn es darum geht, sich schnell verändernde Szenen abzubilden, zu betrachten und einzuordnen, das konnte dem Leser nicht vermittelt werden. Was man anhand dieser Rückschau auf die große Print-Ära mit Sicherheit sagen kann, ist: Die Heterogenität im professionellen Schreiben über (elektronische) Musik geht seither immer mehr ver­loren.